Anzeige
Evolution

Das Rätsel der unmöglichen Riesen

Gigantismus bei Insekten und Spinnentieren

Einbau einer Magnetspule der Plasmakammer: Die verdrillte Form ist nötig für die Stellarator-Bauweise. © IPP, Dag Hathiramani

Taranteln von der Größe eines Hauses, godzillagroße Riesenmotten oder Ameisen, die Ratten und Hunde verzehren könnten – solche Rieseninsekten gehören heute definitiv ins Reich der Fantasie. Sie begegnen uns allenfalls noch in Science-Fiction- oder B-Movies wie „Tarantula“ oder „Godzilla“. In der Realität brauchen wir eine solche Begegnung der riesenhaften Art wohl nicht mehr zu fürchten.

Doch noch vor gut 250 Millionen Jahren war dies ganz anders. Hätte es zu dieser Zeit schon Menschen gegeben, hätten sie allen Grund gehabt, sich in Acht zu nehmen – denn die Rieseninsekten gingen um: Libellen mit der Spannweite eines Greifvogels jagten durch den Himmel des Paläozoikums, Schaben waren groß genug, um katzengroße Beute zu erlegen und meterlange Tausendfüßler raschelten durch das Unterholz.

Ein physiologisches Rätsel…

Doch diese Tiere sind nicht nur schon lange ausgestorben, nach Ansicht von Zoologen hätte es sie eigentlich auch überhaupt nicht geben dürfen. Insekten dieser Größe gelten heute als physiologisch absolut unmöglich. Denn im Gegensatz zu den Wirbeltieren atmen Insekten und Spinnentiere nicht mithilfe von Lungen sondern über Tracheen. Statt des Blutes übernimmt dabei dieses teils mit Luft teils mit Flüssigkeit gefüllte Röhrensystem die Verteilung und den Transport des Sauerstoffs im Körper.

Mächtige Kiefer, scharfe Zähne: Der Schädel eines Tyrannosaurus ist gewaltig. © David Monniaux / CC-by-sa 3.0

Die Tracheen leiten die Luft von den Atemöffnungen an der Körperoberfläche in den Körper hinein und bis hin zu den Muskeln und Organen, die mit Sauerstoff versorgt werden müssen. Dabei wird der Transport nicht aktiv durch sauerstoffbindende rote Blutkörperchen übernommen, sondern geschieht rein passiv, angetrieben durch das Konzentrationsgefälle des Sauerstoffs in den Tracheen. Wie weit der lebenswichtige Sauerstoff in den Tracheen wandern kann, hängt von der Konzentration des Stoffs in der Umgebungsluft ab. Je höher die Ausgangskonzentration, desto weiter dringt der Sauerstoff ins Körperinnere der Insekten ein.

Konzentration als Grenze

Und genau hier liegt der entscheidende Faktor für den Größenwuchs dieser Tiere. Auch wenn einige der heutigen Insekten durch zusätzliches mechanisches Pumpen diese Reichweite um ein Geringes erhöhen können, ist ihre Größe dadurch begrenzt. Rezente „Rieseninsekten“ wie der Goliathkäfer erreichen daher bei einem Luftsauerstoffgehalt von rund 20 Prozent maximal elf Zentimeter Länge.

Anzeige

Wie also schafften es die Insektenriesen der Vergangenheit, diese physiologische Grenze zu überwinden? Ganz einfach – indem diese Grenze gar nicht bestand. Zu dieser verblüffenden Antwort kommt der Physiologe und Biologieprofessor Jon Harrison von der Arizona State Universität, der gemeinsam mit seinen Forscherkollegen Jeffrey Graham vom Scripps Institut für Meeresforschung und Robert Dudley von der Texas Universität der Frage nachgegangen ist.

Durch die respiratorische Tür…

Untersuchungen von prähistorischen Böden deuten darauf hin, dass die Sauerstoffkonzentration auf der Erde vermutlich nicht immer gleich war, sondern schwankte und vor rund 300 Millionen Jahren mit 35 Prozent sogar um ein Drittel höher gelegen haben könnte als heute. Nach Ansicht von Harrison und seinen Kollegen könnte genau dieses Sauerstoffhoch eine „respiratorische Tür“ für die prähistorischen Rieseninsekten geöffnet haben: „Wenn die Sauerstoffkonzentration tatsächlich unterschiedlich war, liegt es nahe, dass dies auch einige starke und interessante physiologische Konsequenzen gehabt haben muss“, erklärt der Wissenschaftler.

Auch dieser Seelöwe musste wegen einer akuten Vergiftung durch Domoinsäure behandelt werden. © The Marine Mammal Center

Um ihre Hypothese zu testen, untersuchten die Forscher das Verhalten der heutigen kleinen Verwandten einiger alter Insektengruppen bei unterschiedlichen Sauerstoffkonzentrationen. Die Experimente zeigten, dass beispielsweise große Grashüpfer bei weniger Sauerstoff kaum noch von der Stelle kamen, dafür aber in einer um 40 Prozent mit Sauerstoff angereicherten Atmosphäre weitaus mehr und weiter springen konnten als normalerweise. Kleine Exemplare dagegen waren von den Veränderungen kaum betroffen.

Dies bestätigt nach Ansicht von Harrison auf jeden Fall die enge Verbindung von Stoffwechselrate, Sauerstoffbedarf und Größe bei den Tieren. Doch darauf, ob der Sauerstoff allein wirklich die endgültige Erklärung für die Rieseninsekten vergangener Tage ist, will auch Harrison sich nicht festlegen: „Es hat schließlich auch in anderen Tiergruppen eine Menge ausgestorbener Giganten gegeben“, räumt der Forscher ein. „Offensichtlich gibt es noch andere ökologische und umweltabhängige Gründe für den Gigantismus und sein Aussterben.“

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. 8
  18. |
  19. 9
  20. |
  21. 10
  22. |
  23. weiter


Stand: 21.05.2004

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Riesen im Tierreich
Erfolgsrezept oder Laune der Natur?

Das Geheimnis der Giganten
Ist das Zeitalter der Riesen vorbei?

Modell Giraffe
Was braucht ein Riese zum Überleben?

Das Rätsel der unmöglichen Riesen
Gigantismus bei Insekten und Spinnentieren

Alles wird immer größer - oder doch nicht?
Die Widerlegung der Copeschen Regel

Big is successful - manchmal
Ökologische Vor- und Nachteile der Größe

Leben in Zeitlupe
Vor- und Nachteile im Energiespargang

Riesen als Auslaufmodell?
Die Natur behält ihr Geheimnis

Wir werden immer größer...
Die Menschheit wächst

Größer, schwerer, länger
Rekorde der Pflanzen- und Tierwelt

Diaschauen zum Thema

keine Diaschauen verknüpft

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema