Evolution

INTERVIEW: Kreationismus – was tun?

Fragen an Professor Dr. Horst Bayrhuber vom Institut für Pädagogik in den Naturwissenschaften (IPN) in Kiel

Scinexx: Glauben Sie, dass der Kreationismus auch in Deutschland weiter Fuß fassen wird? Halten Sie die jüngsten Entwicklungen in Hessen für bedrohlich?

Bayrhuber: Die Verbreitung kreationistischer Glaubensvorstellungen wird in Amerika vor allem von evangelikalen Christen vorangetrieben. Um trotz der durch die Verfassung der USA vollzogenen Trennung von Staat und Religion in allgemeinbildenden Schulen der USA kreationistische Unterrichtsinhalte durchzusetzen, wird entsprechenden Glaubenssätzen ein (pseudo-)wissenschaftlichen Anstrich gegeben. Die amerikanischen Gerichte haben diesem Ansinnen bisher regelmäßig einen Riegel vorgeschoben.

In Deutschland ist der Kreationismus in evangelikalen Kreisen ebenfalls weit verbreitet. Da bei uns das Verhältnis von Staat und Kirche jedoch gemäß dem Grundgesetz partnerschaftlich ist, dürfte es schwierig sein, die Behandlung kreationistischer Unterrichtsinhalte im Biologieunterricht gerichtlich verbieten zu lassen. Aus diesem Grund dürfte der Kreationismus in Deutschland, auch in deutschen Schulen weiter Fuß fassen.

Dazu kommt, dass eine weit verbreitete Fehlvorstellung von der Evolution kreationistischem Gedankengut Vorschub leistet: Viele biologische Laien, also auch Schülerinnen und Schüler, interpretieren die Evolution teleologisch, sie nahmen also an, die Evolution sei auf ein Ziel hin ausgerichtet. Ihnen ist nicht klar, dass Variationen zufällig auftreten und sich in der Evolution diejenigen Formen zwangsläufig durchsetzen, die unter gegebenen Umweltbedingungen den höchsten Fortpflanzungserfolg aufweisen. Im Gegensatz dazu betrachten sie die Evolution als linearen historischen Prozess, der zur „Verbesserung“ der Lebewesen führt. Diese teleologische Fehlvorstellung von der Zielgerichtetheit der Evolution behindert die Einsicht in das Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit (zufällige Variation, notwendige Selektion) in der Evolution.

Nun wird auch im Rahmen der christlichen Schöpfungslehre der Schöpfer als Sinn und Ziel des Lebens aufgefasst. Diese Art Zielorientierung schließt zwar überhaupt keine naturwissenschaftliche Aussage ein und führt daher nicht zu Widersprüchen mit der Evolutionstheorie. Sie findet aber eine Parallele in der vermeintlichen Zielgerichtetheit der Evolution als Inhalt der erwähnten teleologischen Fehlvorstellung. Sofern nun – wie im Kreationismus – nicht streng zwischen naturwissenschaftlichen und theologischen Aussagen unterschieden wird, kann diese Fehlvorstellung die Akzeptanz des Kreationismus erleichtern.

Was nun speziell Hessen betrifft, so erfolgt die unkritische Vermittlung kreationistischer Vorstellungen bisher nur in wenigen Schulen. In ihrer überwiegenden Zahl durchschauen die hessischen Biologielehrer den pseudowissenschaftlichen Charakter des Kreationismus. Daher sehe ich die Situation im Schulbereich dieses Bundeslandes zur Zeit nicht als bedrohlich an.

Scinexx: Für wie gravierend halten Sie das Erscheinen von evolutionskritischen Lehr- und Schulbüchern wie „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“. Besteht die Gefahr, dass diese künftig parallel zu lehrplangemäßen Schulbüchern im Unterricht eingesetzt werden?

Bayrhuber: Normalerweise müssen Schulbücher von den Bildungsministerien genehmigt werden, bevor sie im Unterricht eingesetzt werden können. Da das erwähnte Buch den Lehrplanvorgaben nicht entspricht, kann es meines Erachtens nach diese Genehmigung nicht erhalten. Es ist allerdings zu bedenken, dass in manchen Bundesländern für Schulbücher der Oberstufe eine solche Genehmigung nicht erforderlich ist, so dass der Einsatz von evolutionskritischen Büchern prinzipiell möglich ist.

In diesem Zusammenhang soll nochmals klar gestellt werden, dass das Verlangen von Vertretern des Intelligent Design, einer Spielart des Kreationismus, ihre Auffassungen sollten gleichberechtigt neben der Evolutionstheorie im Biologieunterricht behandelt werden, den Zielen dieses Faches und anderer betroffener Fächer wie Geographie und Physik widerspricht. Sie beanspruchen nicht weniger als bestimmte Glaubensaussagen, die naturwissenschaftlich nicht beweisbar bzw. widerlegbar sind, im Sinne von wissenschaftlichen Aussagen vermitteln zu lassen. Das würde bedeuten, diese Fächer als Trojanische Pferde zum Zwecke evangelikaler religiöser Verkündigung zu instrumentalisieren. Es ist daher nicht unfair, die Forderung nach Gleichbehandlung von Evolutionstheorie und Intelligent Design zurück zu weisen. Aus diesen inhaltlichen Gründen kommt das erwähnte „kritische Lehrbuch“ als Schulbuch nicht in Frage.

Scinexx: Eine Umfrage der Universität Dortmund ergab, dass immerhin 5,5 Prozent der Biologie-Lehramtsstudenten nicht an die Evolutionstheorie glaubten. Haben Sie eine Erklärung dafür? Wie kann darauf reagiert werden?

Bayrhuber: Ich gehe davon aus, dass es sich bei der genannten Gruppe vor allem um Gläubige handelt. Sie dürften Evolutionstheorie mit Atheismus sowie Kreationismus mit Theismus gleichsetzen. Diese Art Gleichsetzungen wird nicht nur von Kreationisten sondern auch von vielen Biologen propagiert. Das kann zur Folge haben, dass gläubige Menschen annehmen, sie gingen des Sinnes des Lebens verlustig, wenn sie die Ergebnisse der Evolutionsforschung akzeptierten. Diese Gleichsetzungen entbehren jedoch jeder vernünftigen Grundlage, ihnen stehen sowohl wissenschaftstheoretische als auch theologische Argumente entgegen. Dies deutlich zu machen, halte ich angesichts der genannten Umfrageergebnisse für dringend erforderlich.

So ist die Aussage, Gott könne nicht Bestandteil einer naturwissenschaftlichen Hypothese sein, keineswegs identisch mit der Aussage, es gebe Gott nicht. Sie ergibt sich vielmehr aus der methodischen Beschränkung der Naturwissenschaften auf empirisch Nachprüfbares (methodischer Naturalismus; „etsi deus non daretur“, als ob es Gott nicht gäbe). Aus dieser zwingenden methodischen Eingrenzung der Problemstellungen folgt jedoch nicht, dass nicht Nachprüfbares nicht existiert. Daher sind Vertreter der Evolutionstheorie auch nicht zwangsläufig Atheisten.

In diesem Zusammenhang ist weiterhin zu beachten, dass die Aussage „Gott hat die Welt nicht erschaffen“ entsprechend den obigen Ausführungen ebenfalls weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Auch aus diesem Grund kann aus den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie nicht gefolgert werden, dass Gott nicht existiert.

Noch ein Wort zur theologischen Deutung der Schöpfungsberichte der Bibel. Die Bibelwissenschaft interpretiert diese Erzählungen des Alten Testamentes nicht im Sinne eines naturwissenschaftlichen Textes, sondern deutet die Texte z.B. in der Weise, dass der Schöpfer sich um das Universum kümmert und dass er die Evolution, deren Ursachen die Biologie beschreibt, ebenso gewollt hat wie den Menschen als ihr Ergebnis, der den Schöpfer als Sinn und Ziel des Lebens erkennen kann. Solche theologischen Deutungen widersprechen nicht den Ergebnissen der Evolutionsbiologie.

Dies deutlich zu machen, könnte bei gläubigen Christen der Ablehnung der Evolutionstheorie entgegenwirken. Es wäre wünschenswert, dass auch Biologielehrer mit solchen Argumenten und Ergebnissen bibelwissenschaftlicher Exegese in der Lehramtsausbildung vertraut gemacht werden. Vergleichbares gilt für Religionslehrer bezüglich der Evolutionsbiologie.

Scinexx: Was müsste ihrer Ansicht nach getan werden, um dem Ausbreiten des Kreationismus Einhalt zu gebieten?

Bayrhuber: In erster Linie muss verhindert werden, dass kreationistische Themenstellungen zu Lehrplaninhalten der Schule werden. In den betroffenen Fächern, vor allem in der Biologie, aber auch in der Geographie und der Physik, wird, wie bisher schon, solides Wissen über die Entwicklung des Weltalls, speziell der Erde und des Lebens auf der Erde erarbeitet und von teleologischen Fehlvorstellungen von der Evolution abgegrenzt werden. Solches Wissen über Ergebnisse auf diesen Fachgebieten ist zwar eine notwendige Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit dem Kreationismus, in der Schule, es reicht aber keineswegs aus.

Im Hinblick auf die wissenschaftstheoretischen Schwächen des Kreationismus ist im Unterricht zusätzlich die Förderung der Kompetenz der Erkenntnisgewinnung von besondere Bedeutung, deren Vermittlung übrigens allgemein von den KMK Bildungsstandards gefordert wird. Und aufgrund der theologischen Schwächen des Kreationismus ist die fachübergreifende Kommunikation besonders wichtig. Biologie- und andere Fachlehrer sollten gemeinsam mit dem Religionslehrer deutlich machen, dass Glauben und Wissen nicht zwangsläufig im Widerspruch stehen, und im Unterricht Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Wissensbereichen herstellen, die aufgrund verschiedener Arten der Welterschlißung entstanden sind. Auf diese Weise soll eine tragfähige Grundlage für die Teilhabe an der gesellschaftlichen Kommunikation über Evolution und Kreationismus vermittelt und damit auch dem Allgemeinbildungsanspruch der Schule Rechnung getragen werden.

Für die Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit sollte in Deutschland ein Science Center errichtet werden, in dem die Grundlagen der Abstammungslehre und der Evolutionstheorie und die für die Auseinandersetzung mit dem Kreationismus erforderlichen weiteren Informationen anschaulich und verständlich dargeboten werden und die Besucher neue Kenntnisse in Eigentätigkeit erarbeiten können. Ein solches Science Center könnte auf wissenschaftlicher Basis der

Missionstätigkeit der Kreationisten entgegenwirken, die über kurz oder lang auch in Deutschland erheblich verstärkt werden dürfte.

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Stand: 05.10.2007

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Gott oder Darwin?
Der Kreationismus auf dem Vormarsch

Was ist was?
Die wichtigsten Stichworte kurz erklärt

Eine Kultusministerin schießt quer
Streit um die Schöpfungslehre im Biologieunterricht

Kein Einzelfall
Der Kreationismus gewinnt in Europa an Boden

„Evolutions-Notstand“ auch an der Uni?
Jeder achte Biologie-Studienanfänger skeptisch

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