Johann Wolfgang von Goethe, Marie Curie, Isaac Newton – sie alle gelten als genial auf ihrem Gebiet. Und sie alle sind Linkshänder. Bloßer Zufall? Oder steckt doch mehr dahinter? Und hat es mit dem fast ebenso hartnäckigen Vorurteil auf sich, Linkshänder hätten häufiger mit Rechtschreibschwächen oder gar Legasthenie zu kämpfen?
IQ gleich, Verteilung verschieden
Chris McManus vom University College London, einer der bekanntesten Händigkeitsforscher weltweit, ist dieser Frage nachgegangen. In einer großangelegten Studie untersuchte er 11.000 Kinder in England auf ihre Händigkeit und ihren Intelligenzquotienten hin und fand zunächst nichts Aufregendes. Der durchschnittliche IQ von Links- und Rechtshändern war im Prinzip identisch – glaubte McManus zunächst.
„Aber sobald man sich die beiden Extreme anschaute, stimmte das nicht mehr“, so der Forscher. Denn sowohl unter den hochgbegabten als auch unter den stark zurückgebliebenen Kindern gab es wesentlich mehr Linkshänder als unter normal begabten Kindern. „Der durchschnittliche IQ ist also der gleiche, aber die Verteilung ist eine andere.“
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die alljährlich in den USA durchgeführten Mathematik-Einstufungstests für Schüler. Hier häufen sich ebenfalls Linkshänder am unteren Ende der Skala, dafür allerdings gibt es unter den besten 0,1 Prozent regelmäßig ein Viertel Linkshänder – und damit deutlich mehr als im normalen Durchschnitt.
Gen als Symmetriefaktor?
Also doch das Potenzial für Genialität? Vielleicht. Aber möglicherweise auch das Potenzial für die Kehrseite des Genies, den Wahnsinn. Denn britische Forscher stießen 2007 im Rahmen einer Studie zu Händigkeit und Legasthenie auf eine echte Sensation: Sie entdeckten erstmals überhaupt eine Korrelation zwischen einem bestimmten Gen und der Händigkeit. „Wir glauben, dass dieses Gen die Symmetrie des Gehirns beeinflusst“, erklärt der Genetiker Clyde Francks von der Oxford Universität. „LRRTM1 ist zwar für die Linkshändigkeit nicht essenziell, kann aber ein starker beitragender Faktor sein.“
Dummerweise scheint dieses Gen jedoch nicht nur auf die Händigkeit zu wirken, sondern auch auf das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken. Für die Wissenschaftler ist dies kein ganz unerwarteter Zusammenhang, gilt doch die Schizophrenie als eine eng mit Störungen der Hirnsymmetrie verbundene Krankheit. Linkshänder weltweit allerdings waren zunächst eher geschockt. Tickte in ihrem Erbgut nun eine Zeitbombe, die sie jederzeit in die psychische Instabilität treiben konnte? Drohte es sie von einem Dr.Jekyll in einem Mr. Hyde zu verwandeln?
Linkshänder nah am Wahnsinn?
Paul Corry, Leiter von Rethink, einer gemeinnützigen Organisation für psychische Erkrankungen, beruhigt: „LRRTM1 könnte Teil einer komplexen Wechselwirkung von einer ganzen Reihe von Genen und Umweltfaktoren sein, die letztlich dazu führen, dass ein Mensch Schizophrenie entwickelt.“ Und Genforscher Francks ergänzt: „Es gibt so viele Faktoren, die ein Individuum anfälliger für Schizophrenie machen. Die große Mehrhheit der Linkshänder wird da niemals ein Problem entwickeln.”
Noch ist über das neue Gen ohnehin kaum etwas bekannt. Ob der statistische Zusammenhang auch eine funktionelle Basis hat, müssen die Wissenschaftler erst noch herausfinden. Unklar ist bisher auch, wann LRRTM1 überhaupt aktiv ist, ob im Kindesalter, in der Pubertät oder beim Erwachsenen.
Nadja Podbregar
Stand: 08.08.2014