Es ist das größte Forschungsprojekt der Weltgeschichte: Noch niemals zuvor hat es ein derart großes, teures und so viel Menschen und Material umfassendes Projekt gegeben. Knapp 20 Jahre dauerte es, bis die Ideen und Pläne Wirklichkeit wurden – jetzt ist es soweit:
Titanische Kollisionen setzen Urkräfte frei
Am 10.September 2008 wurde der Large Hadron Collider (LHC), der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt, zum ersten Mal in Betrieb genommen. Ganz langsam brachten die Wissenschaftler und Ingenieure dabei ihr teures „Riesenbaby“ auf Trab. Denn trotz aller Vortests war dies eine echte Premiere. Um 10:28 Uhr schickten die gewaltigen Magneten entlang des 27-Kilometer-Rings die ersten Protonenpakete um den gesamten Beschleunigerring. Diese ersten Umkreisunge wurden in der Wissenschaftlergemeinde entsprechend gefeiert.
Später dann wird der Beschleuniger zwei Protonenstrahlen bis knapp unterhalb der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und sie dann mit dieser enormen Beschleunigung aufeinander prallen lassen. Die schiere Gewalt der Kollision zerstört die Teilchen und löst sie in die Grundbausteine der Materie auf. Und um genau diese Grundbausteine geht es in diesem Großexperiment. Denn der LHC soll Einblicke und Erkenntnisse bringen, die im Prinzip nichts Geringeres als die Antwort auf die Frage nach „Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ – frei nach Douglas Adams – liefern sollen.
Spannung weltweit
Wenn die vier Großdetektoren entlang des Rings die ersten Kollisionen aufzeichnen, haben die tausenden von Wissenschaftlern, die knapp zwei Jahrzehnte an den Vorbereitungen der Experimente gearbeitet haben, einen Meilenstein geschafft. „Wir werden alle gespannt im Kontrollraum sitzen und warten und sehen, ob wir die Teilchenkollision sehen können“, erklärt Werner Riegler, Physiker am CERN. „Die ersten Kollisionen sind auch symbolisch ein sehr wichtiger Meilenstein. Denn es heißt, dass der Beschleuniger zum ersten Mal mit den Experimenten zusammen arbeitet.“
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Aber nicht nur die unmittelbar Beteiligten fiebern dem Start des LHC entgegen, auch die Wissenschaftlergemeinde weltweit blickt am 10. September gespannt nach Genf: „Es vibriert förmlich in der globalen Gemeinde der Teilchenphysiker“, erklärte Rolf-Dieter Heuer, Forschungsdirektor am Deutschen Elektronen Synchrotron DESY in einem Interview gegenüber der Zeit. Ab Januar 2009 wird Heuer neuer Leiter des CERN sein. „Sie warten jetzt darauf, dass die Maschine anläuft, und dass es Daten gibt. Man ist unheimlich gespannt, von Jung bis Alt, vom Diplomanden bis zum gestandenen Professor.“
Eine Riesenmaschine als Medienstar
Der LHC ist „in“, keine Frage – und das nicht nur bei den Wissenschaftlern: Gleich mehrere Romane spielen mindestens in Teilen am CERN, in Internet-Blogs und -Foren wird heiß über die Gefahren der im Beschleuniger entstehenden Schwarzen Mini-Löcher debattiert, ein Rapsong besingt die LHC-Experimente und das CERN unterhält einen eigenen YouTube-Kanal. An medialer und multimedialer Aufmerksamkeit mangelt es dem LHC wahrhaftig nicht.
Was aber macht dieses Projekt für viele so spannend? Letztlich ist schließlich auch der LHC nichts weiter als ein – zugegebenermaßen gigantisches – Gerät zur physikalischen Grundlagenforschung. Und Teilchenphysik galt bisher nicht gerade als leicht verständlicher, massentauglicher Zweig der Physik. Ein Grund ist sicher die schiere Dimension des Ganzen: Die „Riesenmaschine“ fasziniert allein durch ihre Ausmaße und Leistungen.
Ein anderer ist vielleicht, dass sie grundlegende Fragen adressiert, die per se schon Neugierde wecken: Begriffe wie „Dunkle Materie“, „Urknall“ oder „Antimaterie“ sind auch für viele Nicht-Physiker ein Faszinosum, denn sie berühren die Grundfesten unseres Weltbildes. Ob das LHC die ersehnten Antworten wirklich finden wird, müssen die nächsten Jahre allerdings erst zeigen.
Stand: 05.09.2008