Der Zeitpunkt ist fast schon symbolisch: Am Ostersonntag ist der größte Teilchenbeschleuniger der Welt wieder zum Leben erwacht. Während Christen in aller Welt die Auferstehung Jesu feierten, feierten die Teilchenphysiker am CERN bei Genf den ersten Protonenstrahl, der nach zweijäjhriger Pause wieder durch den 27-Kilometer-Ring des Large Hadron Collider (LHC) raste – auch das eine kleine Wiederauferstehung.
„Wir hatten diskutiert, ob wir es über Ostern machen sollen oder nicht“, erklärte CERN-Generaldirektor Rolf Heuer vor wenigen Tagen. „Aber wir haben dann gesagt: Jetzt haben wir solange gearbeitet, da machen wir keine Pause, sondern einfach weiter.“ Tatsächlich war der Zeitpunkt ein Zufall, weil erst eine kleine Panne Ende März den „First Beam“ bis zum 5. April verzögert hatte.
Bisher unerreichte Energien
Fast genau zwei Jahre lang war der LHC zuvor abgeschaltet und wurde für seine zweite Laufzeit aufgerüstet. Techniker schraubten, werkelten und reparierten in dieser Zeit fast im Dauereinsatz an den Eingeweiden der „Weltmaschine“ herum. Sie öffneten und überprüften mehr als 1.500 Verbindungstellen zwischen den supraleitenden Magneten des Rings, verstärkten und erneuerten gut zehntausend elektrische Leitungen und verbesserten die Überlast-Schutzsysteme.
Das Ziel dieses lange geplanten und reichlich aufwändigen „Boxenstopps“ war es, den Beschleuniger für seine volle Leistung vorzubereiten. Denn nun sollen in ihm erstmals Protonenkollisionen mit der ungeheuren Energie von 13 Teraelektronenvolt (TeV) stattfinden – das ist fast doppelt so viel wie zuvor und mehr, als jemals zuvor in einem Beschleuniger erreicht. Läuft in diesem Jahr dann alles glatt, könnte der LHC sogar noch ein bisschen höher gefahren werden – 2016 könnten dann sogar 14 TeV erreicht werden – die offizielle Maximalenergie des Beschleunigers.
Eine Tür zu neuen Entdeckungen
Diese Energie ist mehr als nur einfach ein Rekord – sie ebnet auch den Weg in ganz neue Gefilde der Physik. Denn bei den Kollisionen können nun auch Partikel erzeugt werden, die bisher außerhalb der Reichweite unserer Nachweismethoden und Technologien lagen. „Je mehr Energie wir haben, desto kleiner sind die Bruchstücke, die wir uns anschauen können“, erklärt CERN-Physiker Andre David. „Das ist ein neues Werkzeug, mit dem wir das erkunden können, was über das Standardmodell hinausgeht.“
Denn obwohl das Standardmodell der Physik bisher allen Überprüfungen standgehalten hat, deckt es längst nicht alles ab, was wir um uns herum beobachten können. „Die Daten bisher bestätigen, dass unsere Theorie wirklich gut ist – aber das ist frustrierend, weil wir wissen, dass das nicht der Fall ist“, sagt Tara Shears von der University of Liverpool. „Wir wissen, dass sie einen Großteil des Universums nicht erklären kann.“
Umso mehr hoffen die Physiker, dass der LHC in seiner vorerst bis 2035 geplanten Betriebszeit endlich Antworten liefert. Einige sind da zumindest optimistisch: „Dieses Energie-Regime wird uns die Tür öffnen zu neuen Entdeckungen über unser Universum, die noch vor zwei Jahren unmöglich waren“, kommentiert Fleming Crim von der National Science Foundation der USA. „Wir stehen an der Schwelle zu einer aufregenden Zeit in der Teilchenphysik.“
Nadja Podbregar
Stand: 10.04.2015