Kaum ein naturwissenschaftliches Thema zieht so viele Diskussionen an wie die Evolutionstheorie. Bereits seit Charles Darwin die ersten Ansätze dieser Theorie veröffentlichte, ist sie umstritten – und die Ursache ist oft ein falsches Verständnis dessen, was die Theorie eigentlich besagt.
Schon Darwin wurde heftig dafür kritisiert, dass er dem Menschen eine Abstammung von Affen nachsagte – was der berühmte Naturforscher tatsächlich nie getan hat und was auch die heutige Evolutionstheorie nicht besagt. Sie geht lediglich von einer engen Verwandtschaft zwischen modernen Menschen und heutigen Affen aus, mit gemeinsamen Vorfahren vor über fünf Millionen Jahren.
Wenn es um die Evolution geht, liest man oft Sätze wie „Die Menschen entwickelten einen aufrechten Gang“ oder „Einige Dinosaurier entwickelten Flügel und wurden zu Vögeln.“ Diese Wortwahl ist jedoch leicht irreführend: Sie erweckt schnell den Eindruck, die jeweilige Entwicklung sei vorsätzlich und gezielt vor sich gegangen, selbst wenn dies eigentlich nicht gemeint ist.
Dinosaurierflügel und Giraffenhälse
Aussagen wie „bei einigen Frühmenschen entwickelte sich die Fähigkeit zum aufrechten Gang“ und „bei einigen Dinosauriern entstanden Flügel“ geben den Evolutionsprozess präziser wieder. Denn diese Vorgänge fanden über zahlreiche Generationen und Entwicklungsschritte statt und geschahen völlig zufällig durch winzige Veränderungen im Erbgut. Da sie jedoch einen Überlebensvorteil brachten, blieben sie erhalten und wurden an folgende Generationen weiter vererbt.
Ein oft angeführtes Beispiel hierzu ist die Giraffe: Giraffeneltern können sich noch so sehr nach den Blättern an hohen Bäumen strecken – die Reichweite ihrer Nachkommen wird davon nicht größer. Wenn jedoch besonders hochgewachsene Tiere gegenüber den kürzer geratenen Artgenossen im Vorteil sind und häufiger überleben, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie sich vermehren und dieses Merkmal in der Population erhalten bleibt.
Der lange Giraffenhals liefert übrigens auch einen weiteren Irrglauben: Er dient der Giraffe nicht dazu, hoch gelegene Blätter von Bäumen pflücken zu können – diesen Zweck erfüllen vor allem die langen Beine. Der lange und biegsame Hals ist nötig, damit das Tier sich zum Wassertrinken hinunter beugen kann.
Eine Theorie ist keine Hypothese
Besonders unter Gegnern der Evolutionstheorie weit verbreitet ist das Argument, sie sei immer noch „nur eine Theorie“ und es gebe keine Beweise. Doch die Grundlage dieses angeblichen Arguments ist ein falsches Verständnis des Begriffes „Theorie“, wie die Wissenschaft ihn gebraucht. Eine wissenschaftliche Theorie beschreibt die theoretischen Aspekte eines Forschungsfeldes, abgegrenzt von praktischen Teilen wie Experimenten und Beobachtungen. Eine „unbewiesene Vermutung“ bezeichnen Wissenschaftler nicht als Theorie, sondern als „Hypothese“.
Nur wenige Grundannahmen der Wissenschaft lassen sich so eindeutig beweisen wie beispielsweise ein mathematisches Gesetz. Eine wissenschaftliche Theorie, wie die Relativitätstheorie oder eben die Evolutionstheorie, kommt dem jedoch so nah wie möglich: Sie ist ein Modell, das beobachtete Vorgänge umfassend beschreibt, die Ergebnisse von Experimenten erklärt und zusammenführt sowie Voraussagen über geplante Tests ermöglicht. Selbst wenn sie gelegentlich verfeinert werden müssen, gelten Theorien deshalb gemeinhin als anerkannt und gültig. Aus diesem Grund heißt es „Evolutionstheorie“ und nicht „Evolutionshypothese“.
Ansgar Kretschmer
Stand: 15.01.2016