Geowissen

„High-Speed-Rückzug“ von polaren Eisdecken möglich

Prähistorischer Gletscher schwand im Laufe von nur wenigen hundert Jahren

Rückzug des Jakobshavn Isbrae in Grönland © NASA

Die großen Eiskappen der Erde könnten schneller schrumpfen als gedacht: Statt vieler tausend könnten schon wenige hundert Jahre – geologisch gesehen nur ein „Augenblick“ – reichen, um einen Küstengletscher komplett schwinden zu lassen. Eine in „Nature Geoscience“ veröffentlichte Studie eines solchen „High-Speed-Rückzugs“ vor 5.000 Jahren lässt für die Zukunft des Klimas und der Meeresspiegel nichts Gutes erahnen.

Die großen Gletscher der Polargebiete wirken wie eisige Förderbänder: Sie transportieren Eis aus dem Inneren der kontinentalen Eisdecken an die Küsten und von dort als Eisberge ins Meer. „Diese Eisfabriken zeigen schnelle Fluktuationen in Geschwindigkeit und Position“, erklärt Jason Briner, Assistenzprofessor für Geologie an der Universität von Buffalo. „Aber es ist sehr schwer, vorherzusagen, wie schnell sie sich als Folge der globalen Erwärmung zurückziehen werden.“

Prähistorischer Gletscher als Modell für die Zukunft

Um diese besonders für den zukünftigen Meeresspiegelanstieg so wichtige Prognose zu verbessern, untersuchten Briner und seine Kollegen nun einen prähistorischen Küstengletscher, der in Größe und Geometrie den heutigen Gletschern glich. Ihr Ziel: herauszufinden, wie schnell ein solcher Eisriese verschwinden kann. Die Wissenschaftler nutzten eine spezielle Datierungsmethode, um Gesteinsproben aus einem Fjord in Nordkanada zu analysieren und daraus Rückschlüsse auf das damalige Klima und über die Dauer der Eisbedeckung zu ziehen.

Der Küstengletscher begann vor rund 22.000 Jahren durch die eiszeitliche Eisdecke über Nordamerika gespeist zu werden. Bis vor 5.000 Jahren war er damit ein wichtiger Abfluss des Eises in das Meer. Vor 5.000 Jahren jedoch, das zeigen die neuen Untersuchungen, veränderte sich das Klima, es wurde deutlich wärmer. Und damit beschleunigte sich auch der Eisabfluss über den Gletscher ins Meer.

Gletscherrückgang in nur einem „Augenblick“

„Obwohl der Rückzug der Eisdecke während dieser gesamten Periode anhielt, ereignete sich der Löwenanteil daran jedoch in einem geologischen Moment – wahrscheinlich innerhalb von nur wenigen hundert Jahren“, so Briner. Die neue Studie ist eine der ersten, die bestätigt, dass es tatsächlich das Phänomen solcher schnellen Gletscherrückzüge gibt. Sollte sich dieser Prozess in der Gegenwart wiederholen, dann wären stark ansteigende Meeresspiegel die Folge – mit fatalen Folgen für Menschen in Küstengebieten.

„Viele Gletscher in der Antarktis und in Grönland sind dem von uns in der kanadischen Arktis untersuchten sehr ähnlich“, erklärt Briner. „Basierend auf unseren Ergebnissen könnten auch sie in einem geologischen Augenblick schmelzen.“

Tiefes Wasser schuld

Ausgelöst wurde die rapide Schmelze, als der Gletscherkopf in einen Bereich des Fjords mit nahezu einen Kilometer tiefem Wasser gelangte. „Das tiefere Wasser verleiht dem Gletscher mehr Auftrieb.“ Und das wiederum macht ihn anfälliger für eine Erwärmung. „Die Rückzugsraten im tiefen Fjord waren so viel höher als in der Zeit, in der der Gletscher in flacherem Wasser oder an Land terminierte“, so der Forscher. „Das deutet darauf hin, dass die heutigen Gletscher, die ebenfalls bereits tieferes Wasser erreichen, zukünftig sogar noch schnellere Rückzugsraten erleben könnten als die bisher beobachteten.“

High-Speed-Rückzug auch bei heutigen Gletschern

Besonders relevant könnten die neuen Erkenntnisse für den Jakobshavn Isbrae, den größten und am schnellsten wandernden Küstengletscher Grönlands sein. Zurzeit mündet dieser in fast einen Kilometer tiefes Wasser. Nach Ansicht der Paläoklimatologen könnten seine ohnehin hohen Rückzugsraten von zehn Kilometern im letzten Jahrzehnt auch weiterhin anhalten – ähnlich wie vor 5.000 Jahren bei dem kanadischen Gletscher.

„Wenn die modernen Gletscher dies über mehrere Jahrzehnte fortsetzen, dann würde dies die globalen Meeresspiegel schnell ansteigen lassen“, so Briner. „Dies würde die Küstenpopulationen gefährden und gewaltige Umbauten an Deichen und anderen Küstenschutzsystemen erfordern.“

(University at Buffalo, 23.06.2009 – NPO)

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