Die Gletscher in der Schweiz haben seit 1999 zwölf Prozent ihres Eisvolumens verloren. Das haben Züricher Forscher mit einem neuen Verfahren erstmals belegt. Das heute in den Gletschern gespeicherte Wasser entspricht noch zwei Dritteln des Genfersees.
Die Schweizer Gletscher haben in den letzten Jahren sehr viel Eis durch verstärkte Schmelze verloren. Mit steigenden Temperaturen wachsen auch die Befürchtungen, dass die Gletscher eines Tages ganz verschwinden könnten. Wie groß das Eisvolumen in den Schweizer Alpen jedoch tatsächlich ist und wie es sich in den letzten Jahren verändert hat, konnte bisher nur grob geschätzt werden.
Neue Methode deckt Eisvolumen auf
Wissenschaftler um Professor Martin Funk von der ETH Zürich haben nun ein neuartiges Verfahren entwickelt, mit dem das Eisvolumen eines Gletschers bestimmt werden kann. Als Grundlage dafür dient das Massenerhaltungsgesetz. Dieses besagt, dass die Oberflächenmassenbilanz durch den Eisfluss und die Eisdickenänderung ausgeglichen werden muss. So können die Wissenschaftler allein aufgrund der Topographie der Gletscheroberfläche und der geschätzten Verteilung der Oberflächenmassenbilanz das Eisvolumen berechnen.
Im Gegensatz zu den bisherigen Schätzverfahren ist mit dieser neuen Methode erstmals die räumliche Verteilung der Eisdicke eines Gletschers erkennbar. „Die Berechnung des aktuellen Eisvolumens ist der wichtigste Indikator, um Voraussagen über zukünftige Veränderungen der Gletscher zu machen“, erklärt Funk, Leiter der Abteilung Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW).
74 Kubikkilometer Gletscher
Das Verfahren haben die Wissenschaftler auf jene 59 Schweizer Gletscher angewandt, die größer als drei Quadratkilometer sind. Für die übrigen 1.400 Gletscher, die in der Schweiz zu finden sind, leiteten sie das Eisvolumen von einem empirischen Flächen-Volumen-Ansatz ab.
Für den Gletscherstand im Jahr 1999 berechneten sie so ein Gesamtvolumen von 74 Kubikkilometern (km3). Die Unschärfe dieses Resultats liegt bei ± neun km3. Alle Gletscher der Schweiz hatten bereits damals zusammen ein kleineres Volumen als der Genfersee, der über ein Wasservolumen von 89 km3 verfügt. Die vergletscherte Landesfläche der Schweiz umfasste 1.063 Quadratkilometer (km2) und hatte eine mittlere Eisdicke von 70 Metern.
59 Gletscher speichern 88 Prozent des Eises
Die Wissenschaftler konnten außerdem zeigen, dass rund 88 Prozent des Eises in den 59 mächtigsten Gletschern gespeichert ist. „Damit wird klar, dass zur Bestimmung eines regionalen Eisvolumens vor allem jene Gletscher ins Gewicht fallen, die größer als drei Quadratkilometer sind“, erklärt Funk. Die Gletscher im Aletschgebiet – Ober-, Mittel- und Großer Aletschgletscher – fassen zusammen allein 24 Prozent des Eises.
Die Fläche des Großen Aletschgletschers entspricht in etwa der Gesamtfläche aller Schweizer Gletscher, die kleiner als einen Quadratkilometer sind. Insgesamt weisen diese aber zwanzigmal weniger Eisvolumen auf als der Große Aletschgletscher.
Volumen sank um zwölf Prozent
Die Studie der ETH Zürich macht auch Aussagen über die Veränderung des Eisvolumens seit 1999. In der letzten Dekade – der wärmsten der letzten 150 Jahre – haben die Schweizer Gletscher neun km3 Eis (minus zwölf Prozent) verloren. Allein im Jahrhundertsommer 2003 waren es 2,6 km3 (minus 3,5 Prozent). Diese Zahlen beunruhigen nach Angaben der Forscher insofern, als sich das Klima weiter erwärmt und für die Schweizer Alpen ein Temperaturanstieg von 1,8 Grad im Winter und 2,7 Grad im Sommer bis ins Jahr 2050 erwartet wird.
Gletscherrückgang seit 1850
Die Entwicklung der Schweizer Gletscher wird bereits seit 1880 beobachtet und dokumentiert. Die jetzigen Berechnungen beziehen sich auf die im Jahr 1999 erfassten Daten. Damals ist das Schweizer Gletscherinventar via Satelliten-Aufnahmen, kombiniert mit einem geografischen Informationssystem und einem digitalen Höhenlinienmodell, letztmalig aktualisiert worden.
Die Gletscherbestände der Erde zählen bei den Klimaprognosen zu den „unsicheren“ Faktoren. Es ist schwierig, das Eisvolumen genau zu bestimmen und seine Auswirkungen – etwa auf den Meeresspiegelanstieg – sind deshalb mit Unsicherheiten behaftet. Das Abschmelzen der Gletscher trägt aber nicht nur zum Meeresspiegelanstieg bei, es verkleinert auch die Trinkwasserressourcen und verändert das Landschaftsbild und das Ökosystem nachhaltig.
(idw – Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich), 24.06.2009 – DLO)