Wo entwickelte sich der gemeinsame Vorfahr von Affen, Menschenaffen und Menschen? Bisher glaubte man in Afrika. Doch neue Fossilfunde haben nun auch Asien in die Diskussion gebracht. Dort lebte vor 38 Millionen Jahren eine Primatenart, die eine der frühesten Formen der höheren Primaten darstellen könnte. Diese erstaunliche Erkenntnis veröffentlichte ein internationales Forscherteam jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.
Menschen, Menschenaffen und Affen gehen auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück. Vermutlich entwickelten sie sich aus den primitiveren Primaten der so genannten Prosimier. Aber wo fand diese Entwicklung statt? Lange Zeit galt Afrika, die Wiege der Menschheit, auch als „Wiege der anthropoiden Primaten“. Doch der sensationelle Fund des Fossils „Ida“ in der Grube Messel in Deutschland im Mai 2009 säte hier Zweifel. Er deutet darauf hin, dass die höheren Primaten, auch als Anthropoiden zusammengefasst, möglicherweise aus lemurenähnlichen Ahnen, den so genannten Adapiformen, hervorgingen.
Mögliches Bindeglied entdeckt
Jetzt lenken weitere Fossilfunde die Diskussion in eine wieder andere Richtung. Wissenschaftler eines internationalen Teams entdeckten an mehreren Ausgrabungsstellen in Myanmar Relikte von frühen, rund 38 Millionen Jahre alten Primaten. Nähere Untersuchungen zeigten jetzt, dass die Ganlea megacanina getaufte Art zu einer ausgestorbenen Familie asiatischer Primaten gehört, den Amphipithecidae.
Wie eng diese mit den heute lebenden höheren Primaten verwandt sind, war bisher strittig. Einige Forscher hielten bisher vor allem die in Burma beheimateten Amphipitheciden nicht für Angehörige der höheren Primaten, sondern für lemurenähnliche Adapiforme. Andere sahen in ihnen durchaus ein Bindeglied von den primitiveren zu den höheren Primaten. Was aber stimmt?
Große Eckzähne als Indiz
Einen Hinweis auf die mögliche Zugehörigkeit lieferten nun die Fossilien selbst: Sie besitzen eine auffällige Besonderheit, die sie von allen primitiveren Arten unterscheidet: Ihre Eckzähne sind vergrößert und in den meisten Funden stark abgenutzt. Häufig besitzen Fleischfresser solche auffälligen Hauer. Doch in diesem Fall vermuten die Forscher eine andere Erklärung. Die starke Abnutzung weist darauf hin, dass die Tiere ihre Zähne dazu einsetzten, um die harten Schalen tropischer Früchte zu knacken und an die nahrhaften Samen im Inneren zu kommen.
„Diese ungewöhnliche Art der Anpassung ist bei Prosimier-Primaten bisher nicht dokumentiert, ist aber typisch für die modernen südamerikanischen Saki-Affen im Amazonasbecken“, erklärt Chris Beard, Paläontologe am Carnegie Museum of Natural History in Pittsburgh. „Frühe asiatische Anthropoiden haben offenbar die moderne ökologische Rolle der modernen Affen bereits vor 38 Millionen Jahren eingenommen.“
Asien statt Afrika als Wiege der höheren Primaten?
Nach Ansicht der Forscher bestätigt die Entdeckung von Ganlea und ihren speziellen Anpassungen an harte Nahrung, dass diese tatsächlich bereits den höheren Primaten, den Anthropoiden, angehören. Denn von lemurenähnlichen Adapiformen ist dies nicht bekannt. Damit aber deutet auch einiges darauf hin, dass sich die frühen menschenähnlichen Affen nicht in Afrika entwickelten, wie bisher angenommen, sondern in Asien.
Und auch die lemurenähnliche Ida könnte demnach mehr mit den modernen Lemuren als mit frühen Affen, Menschenaffen und Menschen verwandt sein. Damit wäre nicht sie das Missing Link zu den höheren Primaten, sondern Ganlea beziehungsweise einer der früher in Asien lebenden Vorfahren von Ganlea.
(Carnegie Museum of Natural History, 03.07.2009 – NPO)