Selbst in 70 Millionen Jahre altem Meeresboden gibt es noch Leben: Ein internationales Forscherteam aus den USA und Deutschland hat im Südpazifiksediment Bakterien entdeckt, die Sauerstoff atmen und möglicherweise die natürliche Radioaktivität des Untergrunds als Energiequelle nutzen. Über die überraschende Ergebnisse ihrer Forschungsfahrt in den Südpazifik berichten die Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS)
Der Südpazifik zwischen dem Australischen und dem Südamerikanischen Kontinent ist das größte zusammenhängende Meeresgebiet mit einer Fläche fast doppelt so groß wie Nordamerika. Sein Zentrum, der Südpazifische Wirbel, gleicht einer ozeanischen Wüste. Hier findet man das klarste Meerwasser der Welt und einen Meeresboden mit dem geringsten Anteil an organischer Substanz, der bisher in der Tiefsee gefunden worden ist. Genau in dieser Region führten nun Forscher um Steve D’Hondt von der University of Rhode Island, USA, und Tim Ferdelman vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie(MPI) in Bremen nun Unteruschungen durch.
Ergebnisse früherer Ausfahrten (2001 und 2002) mit dem Forschungsschiff Joides Resolution wiesen Leben im 35 Millionen Jahre alten Meeresboden nach. Damals hatte die Gruppe um D’Hondt zusammen mit Forschern um Bo B. Jørgensen vom Bremer MPI mittels modernster Analysetechniken bereits gezeigt, dass Bohrkerne bis 400 Metern Tiefe unter dem Meeresboden lebende Bakterien mit bis zu einer Million Zellen pro Kubikzentimeter enthalten. Kontaminationen konnten sie ausschließen. Acuh bei ihrer jetzigen Fahrt entdeckten die Wissenschaftler erneut Leben tief unter der Oberfläche: In acht Metern Meeresbodentiefe fanden sie noch aktive, Sauerstoff veratmende Mikroorganismen in bis zu 70 Millionen Jahre alten Sedimenten.
Wimmelndes Leben in der Tiefen Biosphäre
Abgeschlossen unter Sedimentablagerungen laufen in der so genannten Tiefen Biosphäre mikrobiologische Prozesse zum Abbau von organischer Substanz ab. Diese stammt von abgestorbenen Organismen, die in der Wassersäule zersetzt wurden und als Flocken zum Meeresboden sinken. Dort werden sie zum Teil abgebaut. Mikroorganismen verarbeiten die Substrate hauptsächlich anaerob, also ohne Sauerstoff als Oxidationsmittel, über Fermentation, Sulfatreduktion und Methanogenese. Hingegen weiter draußen im Ozean, fernab von Auftriebsgebieten der Kontinentalschelfe, gibt es nur sehr geringe Mengen an Kohlenstoffverbindungen, welche als Lebensgrundlage dienen könnten.
Der Umsatz dieser geringen Mengen von Kohlenstoff ist bisher unerforscht.
Radioaktivität als Energielieferant
Die von Dezember 2006 bis Januar 2007 unternommene Ausfahrt mit dem Forschungsschiff RV Roger Revelle sollte Abhilfeverschaffen: Mit dem Schwerelot entnommene Sedimentproben wurden auf
mikrobielle Stoffwechsel-Aktivitäten und andere chemische Komponenten geprüft. Hier im Südpazifischen Wirbel zwischen Australien und Südamerika vermuten die Forscher um D`Hondt und Jørgensen einen Prozess zur Energielieferung, der unabhängig von den Prozessen auf der Erdoberfläche funktioniert: die natürliche Radioaktivität.
Radioaktive Strahlung entsteht beim Zerfall von natürlich vorkommenden Isotopen (z. B. Kalium-40). Dieser Prozess spaltet Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Mikroorganismen könnten diesen Wasserstoff als potentielle Energiequelle nutzen. Sauerstoff aus der Wassersäule wird auch noch in tiefen Sedimentschichten gefunden, weil die mikrobielle Aktivität so gering ist. Die Mikroorganismen scheinen den Wasserstoff genauso schnell zu verbrauchen, wie er durch den Prozess der Radiolyse produziert wird. Einen wirklichen Nachweis der Nutzung von Wasserstoff durch Bakterien gilt es noch zu erbringen. „Je tiefer wir bohren, um so mehr wird Wasserstoff die einzige verbleibende Nahrungsquelle sein. Das gilt es in Zukunft zu überprüfen“, betont D’Hondt.
Extrem aktive Zellen in sauerstoffreichem Boden
In dieser ozeanischen Wüste ist nur eine geringe Menge von mikrobieller Biomasse vorhanden – 1.000 bis 10.000 mal weniger Zellen pro Kubikzentimeter als in den anderen Untersuchungsgebieten an Kontinentalhängen. Allerdings ist die einzelne Zelle 100 Mal aktiver als ihre Artgenossen aus sauerstofffreien Sedimenten. Jedoch zeigen im Endeffekt die Sedimente im Südpazifischen Wirbel um den Faktor zehn bis 1000 mal weniger Atmungs-Aktivität als andere Tiefsee-Sedimente.
Der Grund liegt in der geringen Kohlenstoffverfügbarkeit. Ungewöhnlich für dieses Stück Meeresboden ist der hohe Sauerstoffgehalt. In anderen Sedimenten dringt der Sauerstoff nur wenig in den Meeresboden ein. Nach wenigen Millimetern bis Zentimetern ist er schon verbraucht. Die Forscher waren überrascht: Im Südpazifischen Wirbel fanden sie bis zu einer Tiefe von acht Metern Sauerstoff in hohen Konzentrationen.
„Das war die größte Sauerstoff- Eindringtiefe, die je gemessen worden ist“, begeistert sich Jan
Fischer, ein beteiligter Forscher des Max-Planck-Institutes in Bremen. Wahrscheinlich reicht der Sauerstoff bis zu den weiter unten liegenden Basaltschichten. Die Mengen reichen für die Bakterien aus, um die wenige organische Substanz sogar noch mit Sauerstoff oxidieren zu können.
Rätselhafte Lebenswelt tief im Untergrund
Die Wissenschaftler vermuten, dass die Bedingungen, wie sie mitten im Südpazifik-Wirbel vorliegen, charakteristisch sind für die meisten anderen Ozeansysteme mit geringem Nährstoffgehalt. Sie erhoffen sich mit der Charakterisierung dieses Lebensraumes Einblicke in das Gesamtsystem der Meeres-Sedimente zu erlangen, da diese ozeanischen Extremstandorte einen großen Teil der Meere
ausmachen.
An dem weltweiten Integrated Ocean Drilling Programm (IODP) und dem Ocean Drilling Programm (ODP) beteiligen sich hauptsächlich die USA, Japan und Deutschland. Die Forscher untersuchen die Sedimente aller Ozeane durch Bohrungen, um das System Erde begreifen zu können. Die Erdgeschichte und die damit einhergehenden Umweltveränderungen können so in einen wissenschaftlichen Kontext gebracht werden. Ihre Analysen der Bohrkerne zeigten, dass bis zu 50 Prozent der gesamten Biomasse unseres Planeten tief im Boden verborgen ist.
(Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, 21.07.2009 – NPO)