Beim Begriff „Treibhausgas” fallen den meisten Menschen zuerst Kohlendioxid und vielleicht noch Methan ein. Doch es gibt mehr als ein Dutzend weitere Substanzen, die die Atmosphäre erwärmen. Zusammengenommen übertrifft ihr Treibhauspotenzial sogar das der beiden „Großen“, wie eine Studie in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Journal of Physical Chemistry A“ jetzt feststellt. In ihr entwickeln Wissenschaftler eine Art Blaupause für die molekulare Maschinerie des Klimawandels.
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Entscheidend für den Treibhauseffekt ist das so genannte „atmosphärische Fenster”, die Infrarotbandbreite des Lichts, in dem Wärmestrahlung von der Erde in den Weltraum entweichen kann. Wird dieses Fenster blockiert oder zumindest seine Durchlässigkeit verringert, bleibt die in der Abstrahlung enthaltene Energie in der Atmosphäre und erwärmt sie – ein „Treibauseffekt“ ist die Folge. Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan absorbieren die Wärmestrahlung und wirken daher wie eine Milchglasscheibe. Doch sie sind nicht die einzigen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) listet mehr als ein Dutzend chemische Substanzen mit Treibhauswirkung.
Klimawirksame Eigenschaften im Visier
Doch wie genau sie wirken und was sie dabei so effektiv macht, ist bisher nie untersucht worden. „Kaum zu glauben aber niemand hat bisher diese Eigenschaften untersucht“, erklärt Timothy Lee, Wissenschaftler am NASA Ames Research Center und Hauptautor der Studie. Gemeinsam mit Kollegen der Purdue Universität untersuchten er und sein Mitarbeiter Partha Bera nun die unter „ferner liefen“ gelisteten Treibhausgase genauer. Ziel war es festzustellen, welche chemischen und physikalischen Eigenschaften die Wirkung im Klimasystem und im atmosphärischen Fenster bestimmen. Dafür werteten sie Ergebnisse von experimentellen Beobachtungen aus und modellierten das komplexe Verhalten der Verbindungen auf Supercomputern der NASA und der Purdue Universität.
Atmosphärisches Fenster zugeschlagen
Das Ergebnis war erschreckend und erhellend zugleich, denn die Fluor enthaltenden Verbindungen wirken deutlich drastischer als Methan und CO2. Sie machen das atmosphärische Fenster nicht allmählich immer dichter, wie es diese beiden Gase tun, sondern „schmeißen es zu“ wie es Lee ausdrückt. Fluorierte Verbindungen wie Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFC), Perfluorkohlenwasserstoffe (PFC) und Schwefel-beziehungsweise Stickstofffluoride wirken in Bezug auf die Wärmeabstrahlung der Erde wie eine Isolierglasscheibe.
Entscheidend für diese Wirkung, die die Forscher nun zum ersten Mal klären konnten, ist die hohe Elektronegativität der Moleküle, sie neigen dazu, ihre Elektronen eng an sich zu ziehen. Diese Verschiebung macht die Moleküle effizienter in der Absorption von Strahlung, die normalerweise einfach ins All entweichen würde. Als Folge gehören die fluorhaltigen Verbindungen zu den effektivsten bekannten Treibhausgasen.
Emission mit steigender Tendenz
Zwar kommen sie bisher meist nur in Spuren in der Atmosphäre vor und FCKWs sind in vielen Ländern inzwischen verboten, doch gerade teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFC und Perfluorkohlenwasserstoffe (PFC) werden beispielsweise bei der Herstellung von Elektronikbauteilen, Geräten oder Teppichen, aber auch in Klimaanlagen stark eingesetzt. „Obwohl die jetzige Konzentration einiger dieser Spurengase im Vergleich zu Kohlendioxid sehr gering ist, steigt sie weiter an“, so die Forscher. „Bei ihrer momentanen Zuwachsrate werden sie einigen Modellen zufolge in der Zukunft eine weitaus wichtigere Rolle spielen.“
Extreme Langlebigkeit führt zur Akkumulation
Erschwerend kommt hinzu, dass diese Verbindungen in der Atmosphäre deutlich langlebiger sind als CO2 und andere häufigere Treibhausgase. Einige von ihnen bleiben über tausende von Jahren unverändert erhalten. Selbst wenn sie bisher in geringen Mengen freigesetzt werden, befürchten die Wissenschaftler, dass sich die Substanzen im Laufe der Zeit akkumulieren und dann eine deutlich stärkere Wirkung entfalten könnten als bisher.
Doch jetzt, da bekannt sei, wie diese chemischen Verbindungen auf der molekularen Ebene auf das Klima wirken, eröffne sich auch die Möglichkeit, gutartigere Alternativen zu entwickeln, so die Forscher abschließend. Neue Chemikalien könnten zudem nun gezielter auf ihre Klimawirkung hin getestet werden, bevor sie auf den Markt kommen.
(Purdue University/NASA, 20.11.2009 – NPO)