Sind Schimpansen zu altruistischem Verhalten, beziehungsweise uneigennütziger Hilfsbereitschaft gegenüber nicht verwandten Gruppenmitgliedern in der Lage? Ja, sagen Max-Planck-Forscher. Denn sie haben in einer neuen Studie festgestellt, dass es bei Schimpansen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste Adoptionen gibt.
In gleich 18 Fällen kümmerten sich dort erwachsene Tiere über mehrere Jahre intensiv um verwaiste Junge. Schimpansen tragen demnach in freier Wildbahn durchaus Sorge für das Wohl anderer nicht verwandter Gruppenmitglieder. Altruismus ist bei ihnen sehr viel weiter verbreitet, als es Studien mit Zootieren bisher nahegelegt hatten, schreiben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „PLoS ONE“.
Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen?
Die Fähigkeit zu altruistischem Verhalten nicht verwandten Gruppenmitgliedern gegenüber wird seit einigen Jahren ausschließlich dem Menschen zugestanden. Unterstützt wurde diese Vermutung durch experimentelle Studien mit Schimpansen, die im Zoo leben. Diese teilen oder kooperieren nur äußerst begrenzt mit anderen Gruppenmitgliedern.
Hieraus schlussfolgerte man, dass es im Hinblick auf ihre altruistischen Fähigkeiten zwischen Menschen und Schimpansen einen bedeutenden Unterschied gäbe. Einer Studie zufolge „wäre Schimpansen das Wohlergehen nicht verwandter Gruppenmitglieder gleichgültig“.
Frei lebende Schimpansen sind anders
Diesen Studien mit Zootieren stehen Beobachtungen frei lebender Schimpansenpopulationen gegenüber, bei denen regelmäßig altruistisches Verhalten beschrieben wurde. Schimpansen helfen einander, indem sie ihre Nahrung teilen, Koalitionen mit anderen Gruppenmitgliedern nutzen, gemeinsam jagen und die Grenzen ihres gemeinsamen Lebensraumes verteidigen.
Dass im Zoo lebende Schimpansen ihre Nahrung nicht miteinander teilen, ist nicht überraschend, da alle Tiere meist satt sind. Unter natürlichen Bedingungen gibt es hingegen zahlreiche Situationen, in denen das Überleben eines Schimpansen von der Hilfsbereitschaft einzelner Gruppenmitglieder begünstigt wird, zum Bespiel bei einer Adoption oder der Revierverteidigung gegen Raubtiere oder aggressive Eindringlinge.
Wann handeln Schimpansen altruistisch?
Ein Forscherteam um Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie wollte nun klären, unter welchen Bedingungen Schimpansen gegenüber anderen Gruppenmitgliedern altruistisch handeln. Das Team beobachte 18 Fälle, in denen verwaiste Jungtiere von einem Gruppenmitglied adoptiert wurden.
„Die Adoption eines Jungtieres kostet viel Zeit und Energie. Einige erwachsene Tiere kümmerten sich mehrere Jahre lang intensiv um ein Jungtier, das nicht mit ihnen verwandt war. In dieser Zeit waren sie ständig mit dem verwaisten Tier verbunden, warteten auf es, wenn sie den Wald durchquerten, beschützten es in gefährlichen Situationen und teilten ihre Nahrung mit ihm“, erklärt Boesch.
Leoparden bedrohen die Schimpansen
Im westafrikanischen Taï-Nationalpark wurden mehr Adoptionen beobachtet als bei Schimpansen, die in Ostafrika leben. Grund dafür ist möglicherweise, dass die Taï-Schimpansen ihren Lebensraum mit einer großen Leopardenpopulation teilen. Die ständige Bedrohung durch diese Großkatzen scheint den Zusammenhalt und die Solidarität innerhalb der Gruppe gefördert zu haben, zum Beispiel wenn es um die Versorgung verletzter Gruppenmitglieder oder die gemeinsame Verteidigung im Falle eines Angriffs geht. Diese Sorge um das Wohl anderer Gruppenmitglieder scheint sich auch auf andere soziale Zusammenhänge, wie zum Beispiel die Adoption, ausgeweitet zu haben.
„Diese Beobachtungen zeigen einerseits, dass Schimpansen unter den geeigneten sozio-ökologischen Bedingungen durchaus für das Wohl anderer nicht verwandter Gruppenmitglieder Sorge tragen. Andererseits belegen sie, dass Altruismus bei frei lebenden Schimpansenpopulationen sehr viel weiter verbreitet ist, als es Studien mit im Zoo lebenden Tieren nahelegten“, folgert Boesch. „Nur genaue Beobachtungen frei lebender Schimpansen können uns verraten, wie intelligent diese Tiere wirklich sind. Dann und nur dann werden wir die Frage beantworten können, was den Mensch zum Menschen macht.“
(idw – Max-Planck-Gesellschaft, 28.01.2010 – DLO)