Die ersten Landwirbeltiere besaßen sechs Hals- und zwanzig Brustwirbel. Dies hat jetzt ein internationales Forscherteam in einer neuen Studie herausgefunden, über die die Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) berichtet. Die Wissenschaftler konnten zudem zeigen, dass die Baupläne von Reptilien bereits seit Millionen von Jahren wesentlich variabler gestaltet sind als diejenigen der Vorläufer der Säugetiere.
Schlangen, Schildkröten und Vögel – bei den heute lebenden Reptilienarten sind die Zahl der Wirbel und ihre Aufteilung auf die Abschnitte des Rückgrats ausgesprochen variabel: So besitzen beispielsweise gewisse Schlangenarten über 300 Wirbel und zwar ausschließlich Brustwirbel. Schildkröten dagegen haben vom Hals bis zum Schwanzansatz gerade einmal 18 Wirbel.
Säuger: Wirbelzahl konstant
Anders sieht es bei den Wirbelsäulen der Säuger aus: Dort sind Wirbelzahl und -aufteilung auf die verschiedenen Bereiche des Rückgrats bei den meisten Arten weitgehend konstant. War dies schon immer so? Wann im Lauf der Evolution trat bei den Reptilien diese Variabilität auf und wo liegen die Ursprünge für die so genannt konservativen Baupläne der Säuger?
Diesen Fragen ging nun eine internationale Forschergruppe um Paläontologieprofessor Marcelo Sánchez von der Universität Zürich jetzt erstmals auf den Grund. Die Wissenschaftler wählten einen entwicklungsgenetischen Ansatz und untersuchten 436 lebende und ausgestorbene Tiergruppen. Sie bestimmten dabei die Anzahl der Wirbel zwischen dem ersten Halswirbel und dem Kreuzbein und trugen die Resultate in eine generalisierte stammesgeschichtliche Karte ein.
Anschließend rekonstruierten sie mit Hilfe von computergestützten Berechnungen, wie viele Wirbel die letzten gemeinsamen Vorfahren der untersuchten Arten besessen haben müssen und welche entwicklungsgenetischen Mechanismen involviert waren. Nach diesen Berechnungen hatten die ersten Landwirbeltiere sechs Hals- und zwanzig Brustwirbel.
Konservative Säuger, variable Reptilien
Zwei embryonale Entwicklungsprozesse – die so genannte Somitenbildung und die Expression der Hox-Gene – sind dafür verantwortlich, wie viele Wirbel eine Tierart besitzt. Sie bestimmen auch, auf welcher Höhe der Wirbelsäule die Extremitäten ausgebildet werden bzw. wie sich die Wirbel auf die einzelnen Abschnitte des Rückgrats verteilen.
In ihrer in PNAS erschienenen Studie konnten Sánchez und sein Team nun erstmals zeigen, dass sich neue Wirbelsäulen-Baupläne im Lauf der Evolution auf zwei voneinander unabhängige Weisen entwickelt haben: Entweder wurden während der Somitenbildung mehr oder weniger Somiten und damit auch mehr oder weniger Wirbel gebildet. Oder aber, die Wirbelsäulenabschnitte wurden durch Veränderungen der Hox-Gene so verschoben, dass ursprüngliche Brustwirbel zu Halswirbeln wurden.
Ur-Reptilien waren flexibel
Weiter konnten die Wissenschaftler belegen, dass die basalen Synapsiden – eine reptilienartige Gruppe von Landwirbeltieren, aus denen sich die Säugetiere entwickelt haben – bereits vor 320 Millionen Jahren den gleichen Konservativismus bei der Abschnittsbildung der Wirbelsäule aufwiesen wie die späteren höheren Säugetiere. Ur-Reptilien dagegen zeigten von Anfang an bei ihren Wirbelsäulen-Bauplänen die gleiche große Variabilität wie ihre heute lebenden Verwandten.
Interessanterweise reagierten die Synapsiden in speziellen Fällen auf einen ähnlichen Selektionsdruck mit den gleichen entwicklungsmäßigen Innovationen wie Reptilien, so die Forscher. Wale zum Beispiel vergrößern die Zahl ihrer Brust- und Lendenwirbel ähnlich wie die heute ausgestorbenen Meeresreptilien mit kurzen Hälsen. Das bei diversen Saurierarten und später auch bei gewissen Säugetieren zu beobachtende enorme Größenwachstum dagegen ist nach den Erkenntnissen der Paläontologen nicht an Veränderungen bei der Somitenbildung oder bei den Hox-Genen gekoppelt: Die extreme Zunahme der Körpermasse erfolgt lediglich durch postembryonales Wachstum.
(Universität Zürich, 29.01.2010 – DLO)