Das tatsächliche Ausmaß des drohenden Klimawandels wird nach wie vor unterschätzt. Dieses beunruhigende Fazit haben jetzt Kieler Wissenschaftler nach Analyse der jüngsten Ergebnisse weltweiter Forschungsarbeiten gezogen. Danach kann es bereits bei einem geringen CO2-Anstieg in der Atmosphäre zu einer kritischen globalen Erwärmung gekommen. Die Gründe dafür stellen die Forscher in der Fachzeitschrift „Nature Geoscience“ vor.
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Viele Politiker und Klimaforscher wollen die Erderwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts auf maximal zwei Grad beschränken, um die globalen Auswirkungen des Klimawandels noch beherrschen zu können. Nach Einschätzung des Weltklimarates IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change – muss dafür die CO2-Konzentration in der Luft auf einen Wert von maximal 450 ppm (parts per million, Teilchen pro eine Million Luftteilchen) begrenzt werden. Heute liegt der Wert bereits bei 386 ppm und damit gut 100 ppm über dem Wert seit Beginn der Industrialisierung.
Wärmeres Klima bei vergleichbaren CO2-Konzentrationen
Neue wissenschaftliche Studien zeigen jetzt, dass es in der Erdgeschichte bereits im Pliozän vor fünf Millionen Jahren ein wesentlich wärmeres Klima als heute gegeben hat, obwohl gleichzeitig die CO2-Konzentrationen kaum höher lagen. „Diese Studien weisen deutlich darauf hin, dass der Klimawandel unterschätzt wird“, warnt Professor Ralph Schneider vom Institut für Geowissenschaften der Universität zu Kiel (CAU).
„Wir blicken in die Erdgeschichte zurück, um in die Zukunft zu sehen“, erläutert Schneider: „Dabei wird deutlich, dass in der Klimapolitik viel konsequenter gehandelt werden muss, damit die Erde als Lebensraum für den Menschen in der jetzigen Form erhalten bleibt.“
Grund für das deutlich wärmere Klima vor fünf Millionen Jahren waren Rückkopplungen zwischen einzelnen Komponenten des Klimasystems und zwar speziell dem Grönlandeis, der Vegetation in den hohen Breiten und dem Ozean, der große Mengen Kohlenstoff speichert. Das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes führt dazu, dass weniger Sonnenlicht von der Erdoberfläche reflektiert wird. Gleichzeitig dehnen sich die Nadelwälder weit nach Norden aus. Beides führt dazu, dass die Erde mehr Sonnenlicht aufnimmt und sich die Atmosphäre erwärmt.
Wechselwirkung von Ozean und Atmosphäre verstärkt Temperaturanstieg
Im Oberflächenwasser des Ozeans löst sich Kohlendioxid aus der Luft, das über die Ozeanzirkulation in größere Tiefen transportiert und somit der Atmosphäre dauerhaft entzogen wird. Bei steigender Temperatur des Ozeans sinkt jedoch die Löslichkeit von Kohlenstoff im Wasser, so dass mehr Kohlenstoff in der Atmosphäre verbleibt und dort den Treibhauseffekt beschleunigt.
„Diese Wechselwirkung von Ozean und Atmosphäre wird den globalen Temperaturanstieg bereits innerhalb von etwa 100 Jahren verstärken“, verdeutlicht Professorin Birgit Schneider, ebenfalls CAU, die als Klimamodelliererin im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ eng mit Ralph Schneider zusammenarbeitet. „In den Klimamodellen, die dem IPCC zur Verfügung stehen, werden diese Rückkopplungsmechanismen bislang vernachlässigt“, so Schneider weiter.
Prozesse im Ozean entscheidend
Für die politischen Entscheidungen in den nächsten Jahren sind die Prozesse im Ozean zunächst bedeutender als die der Eisschilde, da hier die Veränderungen schneller wirken. Um herauszufinden, wie stark und wann sich eine geringere Kohlenstofflöslichkeit im Ozean auf das globale Klima auswirkt, entwickelt das Team das computergestützte Klimamodell „Kiel Climate Model System“ weiter.
Auf dem Hochleistungsrechner an der CAU testen die Forscher, wie sich beispielsweise der Ozean in verschiedenen Klimaszenarien mit höheren Temperaturen und Kohlendioxidkonzentrationen verhält. Die Ergebnisse aus den Modellsimulationen vergleichen sie mit Daten aus Tiefseeablagerungen, die Aufschluss darüber geben, wie das Klimasystem in der Vergangenheit funktioniert hat. So sichern sie die Modellergebnisse ab.
„Die marine Paläoklimaforschung, die sich über Jahre hier an der Uni Kiel etabliert hat, liefert wichtige Impulse, um derzeitige Einschätzungen über Klimawandelprognosen deutlich zu präzisieren und damit die Basis für zukünftige Anpassungsmaßnahmen zu verbessern“, macht Ralph Schneider deutlich.
(idw – Universität zu Kiel, 29.01.2010 – DLO)