Wissenschaftler dürfen in Deutschland nur dann mit menschlichen embryonalen Stammzellen forschen, wenn sie ihre Fragen zuvor an tierischen Zellen „vorgeklärt“ haben. Doch solche Tests sind häufig nutzlos oder führen sogar in die Irre, wie eine Studie in der Fachzeitschrift „Stem Cell“ jetzt zeigt. Insbesondere die als besonders menschenähnlich geltenden Epiblast-Stammzellen der Maus entpuppten sich in neuen Versuchen als nur unvollständig reprogrammiert und damit für viele Fragen als ungeeignet.
Sie gelten als wichtigster Modellorganismus für die Erkundung der menschlichen Biologie: Obwohl Mäuse ganz anders aussehen, ähnelt ihre Grundausstattung der des Homo sapiens in vielerlei Hinsicht. Für beeindruckende 99 Prozent der Maus-Gene etwa gibt es eine entsprechende Sequenz im menschlichen Erbgut. Seit Jahren rätseln daher Wissenschaftler, wie weit sich Erkenntnisse aus Untersuchungen an embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) von Mäusen auf den Menschen übertragen lassen.
Mäuse-Stammzellen nur bedingt geeignet
Zwar sind sowohl humane als auch Maus-ES-Zellen pluripotent, sie sind in der Lage, jeden der über 200 Zelltypen des Körpers zu bilden. Auch ist in beiden Arten von Zellen das Gen aktiv, das für die Aufrechterhaltung von Pluripotenz unerlässlich ist und sowohl Eizellen als auch embryonale Stammzellen und frühe Embryonen potentiell unsterblich macht. In anderen Punkten aber, so weiß man seit längerem, unterscheiden sich ES-Zellen von Mensch und Maus ganz erheblich. Bestimmte Signalstoffe zum Beispiel, mit denen man Maus-Zellen dazu anregen kann, sich zu Leber-, Nerven- oder Muskelzellen zu entwickeln, rufen in menschlichen ES-Zellen keine oder ganz andere Wirkungen hervor. Die Gründe dafür sind noch unklar.
Epiblast-Stammzellen als neue Chance?
2007 gelang es jedoch zwei Forscherteams, eine viel versprechende, neue Art von pluripotenten Zellen aus Embryonen von Mäusen zu isolieren. Diese so genannten Epiblast-Stammzellen (EpiSC) werden nicht wie „klassische“ ES-Zellen aus einem wenige Tage alten Embryo im Stadium einer Blastozyste gewonnen, sondern aus einem Embryo, der sich gerade in der Gebärmutter eingenistet hat und der als Epiblast bezeichnet wird. Das Erstaunliche daran: Obwohl Epiblast-Stammzellen in ihrer Entwicklung eigentlich schon einen Schritt weiter sind, schienen sie den ES-Zellen des Menschen stärker zu ähneln als „klassische“ ES-Zellen der Maus.
„In der allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion wurden Epiblast-Stammzellen der Maus daher humanen ES-Zellen quasi gleich gesetzt“, sagt Boris Greber, der Erst-Autor der jetzt veröffentlichten Studie. Doch der Biochemiker wollte es genauer wissen. Er und seine Kollegen um Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster haben deshalb in ihrer jüngsten Studie untersucht, wie Maus-Epiblast- und menschliche embryonale Stammzellen auf verschiedene Wachstumsfaktoren und Hemmstoffe reagieren.
Reprogrammierung unvollständig
Und siehe da: Beide Arten von Zellen unterschieden sich in einem zentralen Punkt. Sowohl Epiblast-Stammzellen als auch humane ES-Zellen sollen sich zwar unter Zugabe eines bestimmten Hormons, dem Wachstumsfaktor FGF2, züchten und in ihrem Alleskönner-Zustand halten lassen. Aber während der Wachstumsfaktor FGF die Selbsterneuerung, die so genannte Reprogrammierung, der menschlichen ES-Zellen aktiv unterstützte, war dies bei Epiblast-Zellen der Maus nicht der Fall.
„Das heißt letztlich, dass viele Voruntersuchungen an tierischen Zellen gerade bei medizinisch relevanten Projekten unter Umständen nicht nur nichts nützen. Die Ergebnisse aus solchen Vorab-Tests können sogar irreführend sein.“ Auch künftig, so Schöler weiter, seien menschliche ES-Zellen für die Stammzellforschung daher unverzichtbar. „Die jüngsten Erfolge auf dem Gebiet der Reprogrammierung von ausgereiften menschlichen Körperzellen erzeugen mitunter den Eindruck, dass Versuche mit menschlichen ES-Zellen inzwischen überflüssig sind. Aber dieser Eindruck täuscht.“ Weder die Techniken zur Reprogrammierung noch zur zielgerichteten Differenzierung von Zellen seien bislang ausgereift.
Menschliche Stammzellen weiter unverzichtbar
Nur ein Bruchteil der Zellen, die die Forscher mit ihren Rezepten behandeln, weist anschließend die richtigen Eigenschaften auf. Und nur durch aufwändige, langwierige Tests lassen sich die erfolgreich umgewandelten Zellen unter einer Vielzahl von unvollständig reprogrammierten Zellen identifizieren. „Unsere jüngste Studie belegt, dass tierische Modellsysteme für etliche solcher Tests unzulänglich sind“, sagt Schöler. „Gerade, wenn es darum geht, sichere und wirksame Stammzelltherapien zu entwickeln, werden wir auch künftig humane ES-Zellen als Goldstandard zum Vergleich brauchen. Lange Voruntersuchungen an tierischen Zellen bergen in diesen Fällen die Gefahr, dass wir wertvolle Zeit und Ressourcen vergeuden.“
(Max-Planck-Gesellschaft, 05.03.2010 – NPO)