Um komplexe Organe wie das Gehirn oder das Nervensystem verstehen zu können, bedarf es vereinfachter Modelle. Eine originelle Möglichkeit, Nervenzellen in einer Kultur geordnet wachsen zu lassen und daran grundlegende Mechanismen des Gedächtnisses zu erforschen, haben jetzt Frankfurter Hirnforscher erfolgreich entwickelt.
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Sie ließen zwei voneinander getrennte Populationen von Nervenzellen auf einer so genannten fotolithografisch strukturierten Platte aufwachsen. Diese Nervenzellen breiteten ihre Nervenfortsätze durch feine Mikrokanäle aus, trafen aufeinander und gingen synaptische Verbindungen ein. Senkrecht zu den Mikrokanälen wurde ein Versorgungskanal eingebaut, der es den Forschern ermöglichte, kleinste Populationen von Synapsen mittels Substanzen oder Neurotransmittern zu beeinflussen.
Wie die Neurowissenschaftler um Erin Schuman in der Fachzeitschrift „Neuron“ berichten, sind die Kammern zugänglich für Bildgebende Verfahren, wodurch die Forscher die Dynamik der Synapsen, die Bewegung der Moleküle innerhalb der Nervenzellen sichtbar machen können.
Axone und Dendriten
Nervenzellen in Kultur zu untersuchen ermöglicht es, das komplexe dreidimensionale Geflecht in lebenden Organismen auf zwei Dimensionen zu reduzieren. Allerdings wachsen die Zellen auch im Labor völlig ungeordnet, was ein systematisches Studium erschwert. Nervenzellen bestehen aus einem Zellkörper, der Signale über einen langen Fortsatz – Axon – an die Nachbarzellen weiterleitet.
Kürzere Fortsätze dagegen, so genannte Dendriten, nehmen die eingehenden Signale auf. Während die Reizleitung entlang des Axons und der Dendriten auf elektrischem Weg geschieht, werden die Kontaktstellen zwischen zwei Nervenzellen, die Synapsen, durch biochemische Signale überbrückt. Zu verstehen, wie Synapsen sich bilden und welche Neurotransmitter dabei eine Rolle spielen, ist nicht nur für die Hirnforschung interessant, sondern kann auch der Entwicklung neuer pharmazeutischer Wirkstoffe dienen.
Funktionsfähige Synapsen
Nachdem die Neurowissenschaftler in ihrer neuen Studie gezeigt hatten, dass sich in den etwa 150 Kanälen auf der Platte funktionsfähige Synapsen bilden, entwickelten sie die Anordnung weiter, um die Synapsen gezielt stimulieren zu können. Dabei nutzten sie aus, dass Dendriten in der Kultur eine charakteristische Länge erreichen, so dass die Kontaktstellen mit den Axonen der benachbarten Zellpopulation etwa im gleichen Abschnitt der Mikrokanäle entstehen. Dort brachte das Forscherteam einen weiteren Mikrokanal an, der die interessierende Region senkrecht zu den Nervenkanälen durchzieht. Durch diesen Versorgungskanal können die Synapsen direkt über gelöste Substanzen beeinflusst werden.
Forscher verfeinern Versuchsanordnung
Eine weitere Verfeinerung der Versuchsanordnung bestand darin, das Einsickern der biochemisch wirksamen Flüssigkeit vom Versorgungskanal in die Kanäle mit den Nervenfasern einzuschränken. Dies erreichten Schuman und ihre Mitarbeiter, indem sie zu beiden Seiten des Hauptstroms eine Lösung einströmen ließen, die den Hauptstrom abschirmte. Die drei parallel zueinander fließenden Strömungen haben nach Angaben der Wissenschaftler zusätzlich den Vorteil, dass man die biochemisch wirksame Substanz genau dosieren kann, indem man die Breite des mittleren Strahls variiert.
Auch kann die Menge der wirksamen Substanzen zeitlich gut reguliert werden: Innerhalb einer Minute lässt sich die Zufuhr ein- und ausschalten. So ist es möglich, die Kurzsignale nachzuahmen, die die Sprache des Nervensystems sind.
Wie verändern sich die Synapsen um einen Gedächtniseindruck zu speichern?
Schuman interessiert die Funktion der Synapsen im Zusammenhang mit der Gedächtnisleistung. Welche Änderungen laufen dabei auf molekularer und zellbiologischer Ebene ab? Ihre Gruppe entdeckte vor Jahren, dass Dendriten in der Lage sind, die Proteine herzustellen, die benötigt werden, um die funktionale Kapazität von Synapsen zu verändern. Der Zellkern transkribiert die benötigte Information als Boten-RNA (mRNA), die dann an die Dendriten weitergeleitet wird. Sobald bestimmte Signale eingehen, übersetzen die Dendriten die mRNA in Proteine.
(idw – Goethe-Universität Frankfurt am Main, 16.04.2010 – DLO)