Neurobiologie

Blinkende Nervenzellen verraten Gedanken

Forscher messen Gehirnsignale mit genetisch implantierter Lichtquelle

Messung der Lichtsignale des Chamäleon-Proteins YC3.60. Versuchsanordnung (links) und die gemessenen Signale bei sich frei bewegenden Mäusen (rechts). © Mazahir T. Hasan / MPI für medizinische Forschung

Elektrische Ströme sind für das menschliche Auge unsichtbar – zumindest wenn sie durch Kabel aus Metall fließen. In Nervenzellen können Wissenschaftler elektrische Signale dagegen sichtbar machen. Jetzt haben Forscher die elektrische Aktivität von Nervenzellen im intakten Gehirn von Mäusen gemessen. Mit Hilfe fluoreszierender Proteine konnten sie die Aktivität von Nervenzellen bei komplexen Verhaltensweisen beobachten. Ihre Ergebnisse stellen die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Frontiers in Neural Circuits“ vor.

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Nervenzellen kommunizieren miteinander über so genannte Aktionspotenziale. Dabei öffnen sich spannungsgesteuerte Kanäle und Kalzium-Ionen strömen sehr schnell in die Zelle. Wegen dieser engen Beziehung können so genannte fluoreszierende Kalzium-Indikatorproteine Aktionspotenziale sichtbar machen. Diese Proteine besitzen zwei fluoreszierende Untereinheiten, die entweder gelbes oder blaues Licht abstrahlen.

Sobald die Proteine Kalzium binden, verändert sich das Verhältnis von blauem zu gelbem Licht. Variierende Kalzium-Konzentrationen lassen sich so an einer Farbverschiebung von blauem hin zu gelbem Licht ablesen – daher der Name „Chamäleon“.

Optische Messung von Aktionspotenzialen

Mit dem Chamäleon-Protein YC3.60, einer neueren Variante, gelang es den Forschern vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg zusammen mit Kollegen aus der Schweiz und Japan, im intakten Gehirn von Mäusen die Reaktion von Nervenzellen auf sensorische Reize aufzuzeichnen: Auf jede Auslenkung der Schnurrhaare durch einen Luftstoß folgte ein Farbwechsel der Chamäleon-Proteine in den Nervenzellen der sensorischen Hirnrinde. Die betroffenen Zellen hatten folglich auf den Reiz mit Aktionspotenzialen reagiert.

„Mit dem Chamäleon-Protein YC3.60 können wir Aktionspotenziale nicht nur in Hirnschnitten, sondern auch im unverletzten Gehirn messen. Das Molekül reagiert schnell und empfindlich und erfasst auch schnell aufeinander folgende Änderungen der Kalzium-Konzentrationen“, erklärt Mazahir Hasan vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung.

Perfektes Werkzeug

Die Forscher konnten aber nicht nur die Aktivität einzelner Zellen sondern auch von Nervenzellgruppen untersuchen. „YC3.60 hat sich damit als geeignetes Werkzeug erwiesen, um Nervengewebe auf unterschiedlichen Ebenen zu untersuchen: Einerseits können wir die Kalzium-Schwankungen verfolgen und so auf die Entstehung und Weiterleitung von Aktionspotenzialen innerhalb von Nervenzellen schließen. Noch besser ist, dass wir gleichzeitig die Aktivität einzelner neuronaler Schaltkreise und ganzer Gehirnregionen messen können“, sagt Hasan.

Die Forscher wollen deshalb als nächstes Chamäleon-Proteine in einer ganz bestimmten Schicht der Hirnrinde oder in unterschiedlichen Typen von Nervenzellen einbringen. „Dann können wir vielleicht verstehen, wie unterschiedliche Nervenzellen in neuronalen Schaltkreisen komplexe Verhaltensweisen erzeugen“, hofft Hasan.

Messungen ohne Elektroden

Chamäleon-Proteine könnten also künftig die Untersuchung der elektrischen Aktivität im Gehirn revolutionieren. Denn bisher mussten Wissenschaftler dazu Elektroden in das Nervengewebe oder in Zellen einführen. Elektroden können jedoch nicht zwischen Zelltypen unterscheiden und schädigen das Gewebe.

Die Farbänderungen der Chamäleon-Proteine können dagegen mit Glasfasern als Lichtleiter bzw. modernen Fluoreszenz-Mikroskopen – so genannten Zwei-Photonen-Laser-Scanning-Mikroskopen – deutlich schonender beobachtet werden. Zudem können Chamäleon-Proteine von den Zellen selbst gebildet werden, wenn zuvor ein entsprechender DNA-Abschnitt in das Erbgut eingebracht wurde. In den Experimenten der Forscher dienten Viren als Fähre, um die Erbinformation für die Chamäleon-Proteine in die Nervenzellen zu schleusen.

Studie baut auf früheren Ergebnissen auf

In früheren Studien war es einem internationalen Forscherteam um Hasan erstmals gelungen, Sinnesreize wie Berührungen oder Geruch mit Hilfe ähnlicher genetischer Sonden in Form von charakteristischen Aktivitätsmustern wahrzunehmen. In der aktuellen Studie mit YC3.60 konnten die Wissenschaftler nun die Aktivität vieler Nervenzellen gleichzeitig über einen langen Zeitraum oder sogar in sich frei bewegenden Tieren aufzeichnen.

Forscher können also künftig mit Licht untersuchen, wie die Aktivität von Nervenzellen komplexe Verhaltensweisen hervorruft und wie Gedächtnisinhalte entstehen und wieder verloren gehen. Außerdem lässt sich mit dieser Technik analysieren, wie sich die Aktivität von Nervenzellen im Alter oder bei Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Schizophrenie verändert.

(MPG, 05.05.2010 – DLO)

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