Neurobiologie

Neue Nervenzellen auch noch im Alter

Studie: Hippocampus besitzt aktive und ruhende neuronale Stammzellen

Neuronale Stammzellen im Gehirn der Maus können auch noch im Alter neue Nervenzellen hervorbringen. © Vernon Taylor

Die meisten Nervenzellen werden vor der Geburt gebildet, danach werden viele überschüssige Neurone abgebaut. Allerdings gibt es auch im Alter noch teilungsfähige Zellen – zumindest im Gehirn von Mäusen. Max-Planck-Wissenschaftlern zufolge existieren dort unterschiedliche Typen von neuronalen Stammzellen, die neue Nervenzellen hervorbringen können.

{1r}

Was bei Mäusen gilt, könnte auch auf den Menschen zutreffen, denn auch im menschlichen Gehirn kommen teilungsfähige Nervenzellen bis ins Erwachsenenalter vor, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Getreu diesem Sprichwort waren Wissenschaftler lange Zeit der Ansicht, dass das Gehirn mit zunehmendem Alter an Lern- und Gedächtnisfähigkeit verliert. Im Hippocampus – einer Region, die für Lernen und Gedächtnis eine zentrale Rolle spielt – gibt es jedoch neuronale Stammzellen, die zeitlebens neue Nervenzellen hervorbringen können. Aus Untersuchungen an Mäusen weiß man, dass die neu gebildeten Zellen in die bestehenden Netzwerke integriert werden und für die Lernfähigkeit der Tiere wichtig sind. Allerdings nimmt die Bildung neuer Zellen im Alter ab. Die Gründe dafür waren bislang unbekannt.

Aktive und ruhende neuronale Stammzellen

Zusammen mit Kollegen aus Dresden und München haben die Forscher des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie in Freiburg jetzt erstmals eine Erklärung dafür gefunden, warum im erwachsenen Mäusegehirn weniger neue Nervenzellen gebildet werden. Sie konnten nämlich verschiedene Populationen von neuronalen Stammzellen identifizieren. Demnach besitzt der Hippocampus aktive und ruhende, inaktive neuronale Stammzellen.

„Bei jungen Mäusen teilen sich die Stammzellen vier Mal häufiger als bei älteren Tieren, die Anzahl an Zellen ist im Alter jedoch nur geringfügig niedriger. Neuronale Stammzellen verschwinden also im Alter nicht, sondern sie werden weiter vorrätig gehalten“, erklärt Verdon Taylor vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie.

Welche Einflüsse die ruhenden Stammzellen wieder aktivieren, wissen die Forscher noch nicht genau. Die Zellen können aber wieder zur Teilung angeregt werden. So beobachteten die Wissenschaftler in körperlich aktiven Mäusen mehr neue Hippocampus-Neurone. „Rennen fördert also die Neubildung von Nervenzellen“, sagt Taylor. Auch krankhafte Gehirnaktivität, wie sie während epileptischer Anfälle auftritt, regt die Stammzellen zur Teilung an.

Horizontale und radiale Stammzellen

Die Stammzell-Populationen lassen sich im Mikroskop gut unterscheiden. Die erste Gruppe besteht aus Zellen, die senkrecht zur Hippocampus-Oberfläche positioniert sind. Diese radialen Stammzellen befinden sich größtenteils im Ruhestadium. In der Gruppe der horizontalen Stammzellen – Zellen, die parallel zur Hippocampus-Oberfläche ausgerichtet sind – bilden dagegen über 80 Prozent laufend neue Zellen, die restlichen 20 Prozent ruhen. Gemeinsam ist allen, dass Gene wie Notch, RBP-J und Sox2 aktiv sind.

Radiale und horizontale Stammzellen sind jedoch nicht nur anders angeordnet, sie reagieren offenbar auch anders. Manche der radialen Stammzellen verlassen ihr Ruhestadium und beginnen sich zu teilen, wenn die Tiere körperlich aktiv sind. Auf die horizontalen Stammzellen hat dies dagegen einen geringen Einfluss. Deshalb teilen sich bei den aktiven Mäusen mehr radiale Stammzellen. Epileptische Anfälle dagegen beeinflussen auch die horizontalen Stammzellen.

Hippocampus im Visier

Neuronale Stammzellen gibt es offenbar nicht nur im Mäusegehirn. Auch beim Menschen sind im Hippocampus Nervenzellen nachgewiesen worden, die dort im Laufe des Lebens gebildet werden. Wissenschaftler vermuten deshalb, dass auch im menschlichen Gehirn unterschiedliche Typen von aktiven und inaktiven Stammzellen vorkommen. Möglicherweise können inaktive Stammzellen auch beim Menschen in ähnlicher Weise wie bei den Mäusen aktiviert werden.

„Es gibt Hinweise darauf, dass die übermäßige Bildung neuer Nervenzellen bei Epilepsie eine Rolle spielt. Vielleicht können neuronale Stammzellen des Gehirns eines Tages auch zur Behandlung von Gehirnverletzungen oder degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer eingesetzt werden“, hofft Taylor.

(idw – Max-Planck-Gesellschaft, 07.05.2010 – DLO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Die Heimwehfabrik - Wie das Gedächtnis im Alter funktioniert von Douwe Draaisma

Alzheimer - Spurensuche im Niemandsland von Michael Jürgs

Phänomen Mensch - Körper, Krankheit, Medizin von Andreas Sentker und Frank Wigger

Medizin für das Gehirn - Hrsg. Spektrum der Wissenschaft

Unser Gedächtnis - Erinnern und Vergessen von Bernard Croisile

Forschung an embryonalen Stammzellen - von Gisela Badura-Lotter

Gott-Gen und Großmutter neuron - Geschichten von Gehirnforschung und Gesellschaft von Manfred Spitzer

Eine kurze Reise durch Geist und Gehirn - von Vilaynur S. Ramachandran

Descartes' Irrtum - Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn von Antonio R. Damasio

Der Beobachter im Gehirn - Essays zur Hirnforschung von Wolf Singer

Lernen - Gehirnforschung und die Schule des Lebens von Manfred Spitzer

Top-Clicks der Woche