Ungewöhnliche Supernovae sorgen für Turbulenz in der Welt der Astronomie. Denn die acht neuentdeckten Sternenexplosionen, die ungewöhnlich viel Kalzium ausschleudern, passen in keine der bestehenden Klassen, wie Forscher jetzt in „Nature“ berichten. Möglicherweise muss nun die Supernova-Klassifikation erweitert werden.
In den letzten rund zehn Jahren haben systematische Himmelsdurchmusterungen mit Hilfe robotischer Teleskope immer wieder neue und teilweise ungewöhnliche Supernovae aufgespürt. Vor fünf Jahren allerdings stießen Astromomen der Universität von Kalifornien in Berkeley mit ihrem Katzman Automatic Imaging Telescope (KAIT) auf einen besonders seltsamen Vertreter solcher Sternexplosionen. Die SN 2005E getaufte Supernova explodierte vor rund 110 Millionen Jahren in der Spiralgalaxie NGC 1032.
Kalzium im ausgeschleuderten Explosionsrelikt
Die spektroskopischen Auswertungen wiesen zwar einige Ähnlichkeiten mit dem Supernova-Typ 1b auf, der durch den Kernkollaps bei sehr massereichen Sternen ausgelöst wird. Andererseits aber zeigte SN 2005E ungewöhnlich starke Emissionslinien von Kalzium – etwas, das eher auf eine Heliumfusion im Sterneninneren hindeutete als auf eine Sauerstoff- und Kohlenstofffusion, wie sie für die massereichen Ausgangssterne des Typs 1b eigentlich typisch ist. Die Forscher klassifizierten sie dennoch erstmal provisorisch als „kalziumreiche Typ 1b-Supernova“.
„Durch die große Anzahl von Supernovae, die wir finden, entdecken wir immer mehr seltsame Vertreter, denen im Vergleich zu den beiden wohlbekannten Arten andere physikalische Mechanismen zugrunde liegen könnten oder die vielleicht auch nur Variationen der Standardthemen sind“, erklärt Alex Filippenko, Professor für Astronomie an der Universität von Kalifornien in Berkeley und Leiter von KAIT. „Aber SN 2005E war eine ganz andere Art von ‘Bang’. Sie und die anderen Kalzium-reichen Supernovae könnten eine echte Unterklasse darstellen, nicht bloß Varianten.“ Inzwischen haben Astronomen insgesamt acht Vertreter dieses außergewöhnlichen Supernovatyps entdeckt.
Weißer Zwerg als Ausgangsstern
Weitere Untersuchungen und eine Modellsimulation enthüllten, dass im Verlauf der Sternenexplosion nur sehr wenig Masse ausgeschleudert worden sein kann, rund 30 Prozent der Massen unserer Sonne, so schätzen die Forscher. Verbunden mit der Tatsache, dass die Supernova in einer alten Galaxie mit nur wenigen heißen Riesensternen stattfand, führte dies die Astronomen zu der Schlussfolgerung, dass kein massereicher Stern, wie bei Typ1b, sondern ein Weißer Zwerg der Ausgangsstern für SN 2005E gewesen sein muss.
„Wir wissen, dass SN 2005E durch die Explosion eines alten, massearmen Sterns entstanden sein muss, das zeigt auch sein Standort in den Außengebieten einer Galaxie, in der es in letzter Zeit keine aktive Sternenbildung gegebenen hat“, so Filippenko. „Und die Präsenz von so viel Kalzium in den ausgeschleuderten Gasen verrät uns, dass Helium in einer nuklearen Kettenreaktion explodiert sein muss.“
Parasit im Doppelsternsystem?
Damit allerdings sitzt SN 2005E endgültig zwischen allen Stühlen. Denn für eine Typ1a-Supernova sind die falschen Elemente beteiligt, für eine Typ1b/c oder eine Typ II-Supernova der falsche Ausgangsstern. Die Astronomen um Filippenko, gemeinsam mit Kollegen vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und dem Weizmann Institute of Science in Israel haben daher nun in „Nature“ einen alternativen Entstehungsmechanismus für diese acht Sonderlinge vorgeschlagen.
Demnach könnte ein massearmer Weißer Zwerg in einem Doppelsternsystem Helium von seinem Partner abgesaugt haben. Dabei stiegen seine Temperatur und sein Druck immer stärker an, bis dies schließlich eine thermonukleare Explosion auslöste – quasi eine Fusionsbombe. Bei der Explosion wurde, so schätzen die Astronomen, die Hälfte der stellaren Masse des Weißen Zwergs als Kalzium ausgeschleudert.
Das aber würde auch bedeuten, dass schon ein paar solcher kalziumreichen Supernovae alle paar hundert Jahre ausreichen würden, um den hohen Gehalt des Elements in Galaxien wie unserer Milchstraße und in allem Leben auf der Erde zu erklären.
Oder doch massereicher Kernkollaps?
Doch es gibt noch eine andere Hypothese dazu, wie SN 2005E entstand. Die entsprechende Publikation ist jetzt in der gleichen Ausgabe von „Nature“ erschienen. In ihr argumentieren Wissenschaftler der Hiroshima Universität in Japan Indizien dafür, die Supernova eher dem Typ II zuzuordnen. Ihrer Ansicht nach war der Vorläuferstern doch massereich – zwischen acht und zwölf Sonnenmassen – und fiel einem für diesen Sternentyp typischen Kernkollaps zum Opfer.
„Momentan herrscht eine verwirrende Situation“, erklärt Filippenko. „Aber wir hoffen, dass wir weitere Vertreter dieser Unterklasse und anderer ungewöhnlicher Supernovae finden und damit neue Variationen des Themas. Dann können wir auch ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden Physik gewinnen.“
Erklärung für Positronen im Zentrum von Galaxien?
Möglicherweise, so der Forscher, könnte der neue Supernovatyp sogar erklären, woher die ganzen Positronen im Zentrum vieler Galaxien stammen. Bisher als Indiz für das Vorhandensein Dunkler Materie gesehen, könnten sie auch durch Zerfall des bei Sternenexplosionen wie SN 2005E freigesetzten radioaktiven Titan-44 gebildet worden sein. Dieses zerfällt unter Abgabe eines Positrons zunächst zu Scandium-44 und dann zu Kalzium-44. „Die Dunkle Materie mag existieren oder auch nicht“, so Avishay Gal-Yam vom Weizmann Institute of Science.“Aber diese Positronen könnten genauso leicht durch einen dritten Typ von Supernovae erklärt werden.“
Auch hier erhoffen sich die Forscher weitere Aufschlüsse von Himmelsdurchmusterungen mit robotischen Teleskopen wie dem KAIT in Berkeley. „Das Forschungsfeld der Supnernovae explodiert im Moment – wenn Sie mir diesen Kalauer erlauben“, so Filippenko. „Viele Supernovae mit seltsamen neuen Eigenschaften sind gefunden worden, was auf einen größeren Reichtum in physikalischen Mechanismen hindeutet, mit denen die Natur Sterne explodieren lässt.“
(University of California – Berkeley, 21.05.2010 – NPO)