Genetik

Braunalgengenom enthüllt Photosynthese-Evolution

Wie höheres Leben entstand

"Wälder im Meer" - Braunalgen der Gattung Fucus © Udo Schilling

Ein internationales Forscherteam hat weltweit erstmals das Erbgut einer Braunalge vollständig entschlüsselt. Damit ist ein wichtiger Schritt gelungen, die Evolution von zwei entscheidenden Voraussetzungen für höheres Leben auf der Erde zu verstehen – Vielzelligkeit und Photosynthese -, schreiben die Wissenschaftler in „Nature“.

In einem fünfjährigen Forschungsprojekt sequenzierten rund 100 Wissenschaftler und Techniker das Genom von Ectocarpus siliculosus, einer bis zu 20 Zentimeter großen Braunalge, die vor allem an den Küsten gemäßigter Breiten vorkommt. Dabei haben sie ungefähr 214 Millionen Basenpaare analysiert und diese etwa 16.000 Genen zuordnen können.

Vom Einzeller zum Vielzeller

„Als Evolutionsforscher interessiert uns vor allem, warum sich die Welt so entwickelt hat, wie wir sie heute kennen“, erklärt Klaus Valentin vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung den wissenschaftlichen Hintergrund der neuen Studie. „Im Laufe der Erdgeschichte hat sich aus Einzellern fünfmal unabhängig voneinander komplexes vielzelliges Leben entwickelt. Aus diesen fünf Linien sind die Tiere, die Pflanzen, die Pilze, die Rotalgen und die Braunalgen unabhängig voneinander entstanden.“

Viele Kinasen-Gene entdeckt

Evolutionsforscher haben sich deshalb das Ziel gesetzt, aus jeder dieser Gruppen jeweils ein Genom vollständig zu entschlüsseln und nach vergleichbaren Erbinformationen zu suchen. „Für ein Braunalgengenom ist dieses Ziel nun erreicht. Die Entschlüsselung eines Rotalgengenoms ist bereits beendet, an der Auswertung arbeiten wir im Moment“, erläutert Valentin die weiteren Perspektiven vergleichender Genomforschung.

„Und tatsächlich haben wir bei den Braunalgen besonders viele Gene für so genannte Kinasen, Transporter und Transkriptionsfaktoren gefunden. Solche Gene kommen auch bei Landpflanzen häufig vor, und wir vermuten, dass sie für die Entstehung vielzelliger Organismen eine große Bedeutung besitzen.“

Die Braunalge "Ectocarpus siliculosus" (hier auf Seegras der Gattung Zostera wachsend) kommt vor allem an den Küsten gemäßigter Breiten vor. © Akira Peters / Station Biologique Roscoff

Gekaperte Photosynthese

Die Sequenzierung des Braunalgengenoms ist aber auch ein Meilenstein, um die Evolution der Photosysnthese zu rekonstruieren. „Wir wissen mittlerweile, dass die Sauerstoff erzeugende Photosynthese vor circa 3,8 Milliarden Jahren von Cyanobakterien, manchmal fälschlicherweise als „Blaualgen“ bezeichnet, erfunden wurde“, erklärt Valentin den Ursprung dieser für das heutige Leben auf der Erde zentralen Fähigkeit pflanzlicher Organismen, Sonnenlicht in biologisch verwertbare Energie umzuwandeln und dabei Sauerstoff freizusetzen.

„Grün- und Rotalgen konnten diese Fähigkeit entwickeln, nachdem ihre Vorfahren lebende Cyanobakterien in sich aufgenommen und die Photosynthese damit gewissermaßen gekapert haben – zum Vorteil beider Seiten, denn diese Symbiose brachte im Urmeer enorme Konkurrenzvorteile.“

Fusion von Grün- und Rotalge

Bei den Braunalgen ging man bisher davon aus, dass sie aus einer Verschmelzung von photosynthetisch inaktiven, farblosen Zellen mit einer einzelligen Rotalge entstanden. Aber wie in einer früheren Studie über einzellige Kieselalgen konnten die AWI Forscher nun zeigen, dass auch Braunalgen der Fusion einer Grün- mit einer Rotalge entspringen und damit eine in Fachkreisen weit verbreitete Theorie widerlegen.

„Interessanterweise“, sagt Valentin, „haben wir in Braunalgen einen hohen Anteil von Genen gefunden, die charakteristisch für Grünalgen sind, darunter auch die bereits erwähnten, für vielzellige Landpflanzen typischen Gene für Kinasen und Transporter. Wie weit wir hier auf die Spur gemeinsamer Ursprünge vielzelligen Lebens gestoßen sind, müssen nun weitere Untersuchungen zeigen.“

„Unterseeische Wälder“

Aber auch unter ökologischen Gesichtspunkten sind Braunalgen ein spannendes Studienobjekt. An den Felsküsten polarer und gemäßigter Breiten spielen sie im Ökosystem eine ähnliche Rolle wie Bäume auf dem Festland. Manche Arten können eine Länge von bis zu 160 Metern erreichen. Diese „unterseeischen Wälder“ sind nicht nur ein wichtiger Lebensraum für Meerestiere. In Gegenden mit ausgeprägten Gezeiten fallen sie oft für mehrere Stunden trocken und zeigen eine enorme Stresstoleranz.

„Vor dem Hintergrund des Klimawandels interessiert uns nun, wie anpassungstolerant Braunalgen an UV-Licht und steigende Temperaturen sind, wie gut sie sich also auf veränderte Lebensbedingungen einstellen können“, nennt Valentin weitere Aspekte der Forschung im Alfred-Wegener-Institut an den Wäldern der Meere. „Außerdem sind Braunalgen erdgeschichtlich viel älter als die Landpflanzen. Die Vielfalt ihrer Stoffwechseleigenschaften ist enorm, aber kaum erforscht. Wenn wir die Fähigkeiten, die in ihrem Erbgut enthalten sind, besser kennen lernen, könnten sich daraus auch Ansatzpunkte für neue Produkte und Technologien ergeben.“

(idw – Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 04.06.2010 – DLO)

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