Wissenschaftler haben einen neuen Ansatzpunkt für die Behandlung der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) identifiziert: Ein Botenstoff scheint für die zerstörerischen Entzündungen verantwortlich zu sein. Wurde er bei Mäusen mit einer ALS-ähnlichen Erkrankung blockiert, verbesserten sich Motorik und Lebenserwartung. Wie die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) berichten, soll die Wirkung dieses Blockers nun in klinischen Studien an Menschen getestet werden.
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Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine verbreitete und tödliche Erkrankung der Motoneuronen. Nervenzellen, die für die Bewegung verantwortlich sind, werden nach und nach irreversibel geschädigt. Wodurch dies ausgelöst wird, ist weitestgehend unbekannt. Offenbar sind daran sowohl erbliche als auch umweltbedingte Faktoren beteiligt. Auch Entzündungsprozesse im Gehirn lassen möglicherweise Neuronen absterben. Wissenschaftler vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie haben jetzt einen Botenstoff identifiziert, der an der Krankheitsentstehung beteiligt ist.
Das Forscherteam um Arturo Zychlinsky interessierte sich vor allem für die Frage, wie Entzündungsprozesse bei Infektionskrankheiten gestartet werden. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass das Enzym Superoxid-Dismutase 1 (SOD1) Entzündungsprozesse reguliert, indem es die Aktivität eines anderen Enzyms, Caspase-1, kontrolliert. Dieses Enzym wiederum spaltet Interleukin-1ß und aktiviert es dadurch. Die Entzündung wird in Gang gesetzt.
Enzym Caspase-1 auch bei ALS beteiligt
Jetzt sind die Forscher auf eine Verbindung dieser Abläufe zur Nervenkrankheit ALS gestoßen. Denn Mutationen im SOD1-Gen sind interessanterweise ein Auslöser für erblich bedingte ALS. Zudem weisen ALS-Patienten sowohl eine Entzündung als auch ein erhöhtes Level für aktivierte Caspase-1 auf. „Vermutlich spielt die Caspase-1 bei ALS eine ähnliche Rolle wie bei Infektionskrankheiten“, sagt Zychlinsky.
Während weiterer Tests konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass es bei ALS zu einer Anhäufung von fehlgefalteten SOD-1-Enzymen in Neuronen kommt. Die Zelle interpretiert dies als Gefahr und aktiviert daraufhin die Caspase-1, welche Interleukin-1ß spaltet und eine Entzündung auslöst. Diese Entzündung zerstört nach und nach die Motoneurone.
Wirkstoff schwächt Symptome ab
Wurden Mäuse mit mutiertem SOD1-Gen mit einem Protein behandelt, das Interleukin-1ß blockiert, verlief die Entzündungsreaktion nicht nur abgemildert. Auch die Symptome waren schwächer. Die Mäuse zeigten eine längere Lebenserwartung. Zusammen mit der ALS-Ambulanz der Charité Universitätsmedizin Berlin arbeitet die Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie nun an einer klinischen Studie, die zeigen soll, ob eine Therapie von ALS-Patienten mit einem Interleukin-1ß-Antagonist möglich ist.
(Max-Planck-Gesellschaft, 29.06.2010 – NPO)