Evolution

Ursuppe: Glimmer als Hort der Lebensentstehung?

Hypothese postuliert Zwischenräume in Schichtsilikaten als idealen Ort für die Bildung der ersten Zellen

Glimmer © USGS

Wo entstand das Leben – diese Frage ist bis heute unbeantwortet. Klar ist nur: frei in der Ursuppe schwimmend kann es nicht gewesen sein. Jetzt hat eine amerikanische Forscherin eine neue Hypothese vorgestellt, nach der sich die ersten Zellen im Schutz winziger Zwischenräume in den Schichten des Glimmer gebildet haben könnten. Das blättrige Silikat-Mineral bot ihrer Ansicht nach den ersten Biomolekülen optimale Bedingungen für die entscheidenden Reaktionen.

Eines der großen Probleme in der Erforschung der Lebensentstehung ist die Frage, wo sich die ersten Zellen bildeten. Denn in der freien „Ursuppe“ fehlte die Möglichkeit, die benötigten Moleküle in ausreichender Konzentration und ungestört von parallel ablaufenden Zerfallsprozessen zusammenzuführen. Die meisten Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass sich die entscheidenden Schritte in einem geschützten, räumlich eingegrenzten Raum abgespielt haben müssen. Ob dies aber Poren im Gestein, Bläschen oder eine Art hydrothermaler Schlot war, kann bisher nur spekuliert werden.

„Grüner Schleim“ im Glimmer

Helen Hansma von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara hat nun eine ganz neue Hypothese zum Ort der Lebensentstehung vorgestellt. Die Idee dafür kam ihr vor einigen Jahren im Urlaub, nachdem sie und ihre Familie in einer alten Mine in Connecticut Glimmer gesammelt hatten. Das Mineral aus schichtförmig angeordneten Silikatverbindungen ist sehr weich und wegen seines Glanzes und seiner blättrigen Struktur bekannt. Zuhause tropfte die Forscherin ein paar Tropfen Wasser auf eine Glimmerprobe und besah sie sich unter dem Mikroskop. Dabei bemerkte sie ein paar grünliche, organische Ablagerungen an einigen Kanten des Glimmers.

„Ich kam darauf, dass das eigentlich auch ein guter Ort für die Entstehung des Lebens gewesen sein könnte – geschützt in diesen Stapeln von Schichten, die sich in Reaktion auf fließendes Wasser auf oder ab bewegten“, erklärt Hansma. „Das wiederum könnte die mechanische Energie geliefert haben, um chemische Bindungen zu erzeugen oder zu brechen.“ Angeregt durch diese Beobachtungen arbeitete die Forscherin ihre Hypothese aus und führte unter anderem Untersuchungen von „Mica“, wie die Schichtsilikate im englischen Sprachraum bezeichnet werden, mit Hilfe des Rasterkraftmikroskops durch.

Glimmer aus Alstead, New Hampshire © Rpervinking / CC by-sa 3.0

Optimales Umfeld für Lebensbausteine

„Die Mica-Schichten sind so dünn, dass eine Million von ihnen in eine nur einen Millimeter dicke Scheibe Glimmer passen“, erklärt Hansma. „Sie sind anatomisch so flach, dass wir im Rasterkraftmikroskop DNA-Moleküle frei über ihre Oberfläche schwimmen sehen können, ohne sie freipräparieren zu müssen.“ Es zeigte sich, dass die winzigen Zwischenräume der Silikatschichten eine Umgebung bieten, die nicht nur für lebende Zellen, sondern auch für alle Klassen der Biomoleküle, von Proteinen über Nukleinsäuren, Kohlenhydraten und Fetten, eine geeignete Umgebung bieten.

Nachdem sie ihre Hypothese 2007 ihren Kollegen auf einer Jahresversammlung der American Society for Cell Biology vorgestellt hatte, hat Hansam ihre „Life in the Sheets“-Hypothese nun in der Fachzeitschrift „Theoretical Biology“ veröffentlicht. Der Kern der Hypothese: Zwischen den nur lose aneinander haftenden Schichten des Glimmers bilden sich strukturierte Kompartimente – abgegrenzte Kammern, die den Bausteinen des Lebens das optimale chemische und physikalische Umfeld geboten haben könnten, um sich zu den ersten Zellen zusammenzulagern.

Kammern als „Blaupause“ für Zellen?

Nach Ansicht der Forscherin sprechen mehrere Faktoren für ein solches Szenario: Die Glimmer-Kammern boten den Biomolekülen Schutz vor Störungen und die Möglichkeit, sich anzureichern. Zudem könnte die Struktur der Kammern als eine Art „Blaupause“ für die Bildung kompartimentierter Lebenseinheiten, den Zellen, geliefert haben. Außerdem spielt das Element Kalium in den Schichtsilikaten eine wichtige Rolle für den Zusammenhalt der Schichten. Sein hoher Gehalt in den Kammern könnte erklären, warum auch die Zellen von Lebewesen so viel Kalium enthalten und für wichtige Stoffwechselprozesse verwenden.

Wellenbewegung förderte Reaktionen

Und schließlich könnten die gegeneinander beweglichen Schichten auch die Energie geliefert haben, um die entscheidenden chemischen Reaktionen auszulösen: Durch den Einfluss von Wellen im Urmeer geriet auch der Glimmer in eine Auf- und Abbewegung. Dadurch wurden die Kammern zwischen den Schichten immer wieder verengt, Moleküle aneinander gedrängt oder verschoben. Diese Bewegung könnte die chemische Reaktion der Moleküle miteinander gefördert haben. „Glimmer würde Molekülen genügend Struktur und Schutz bieten um ihre Entwicklung zu ermöglichen, andererseits aber auch der dynamischen, ständig wandelnden Struktur des Lebens entgegenkommen“, so Hansma.

Nach Ansicht der Forscherin könnte das Schichtsilikat dem entstehenden Leben bessere Bedingungen geboten haben als andere Minerale, die bisher bereits für diese Rolle in Betracht gezogen wurden. Denn während die meisten anderen zwischenzeitlich immer wieder zu nass oder zu trocken geworden sein könnten, fangen die extrem feinen und gut geschützten Kompartimente des Schichtsilikats solche Extreme besser ab. Zudem quellen sie bei Wasseraufnahme nicht auf, wie beispielweise Tonminerale, sondern bleiben stabil.

Ob sich die Hypothese bestätigt, sollen jetzt weitere Untersuchungen und Laborversuche zeigen.

(National Science Foundation, 10.08.2010 – NPO)

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