Kein Säugetier besitzt innerhalb einer Art ein so großes Spektrum an Körpergrößen, Formen und Verhaltensweisen wie der Haushund. Eine genetische Vergleichsstudie von mehr als 80 Hunderassen hat jetzt allerdings enthüllt, dass dieser Vielfalt eine überraschend einfache, fast schon verarmte Genarchitektur zugrunde liegt. Sie spiegelt in besonderem Maße die Züchtungsgeschichte des Hundes wieder.
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Vor mehr als 15.000 Jahren begann der Mensch aus wilden Wölfen den Hund zu züchten. Heute, nach Jahrtausenden der selektiven Züchtung, zeigt kein anderes Säugetier eine so große Vielfalt in Körpergrößen, Aussehen und Verhalten wie der Haushund. In den hunderten von Hunderassen reicht die Spannbreite von den riesigen Doggen und Bernhardinern bis zu kleinen „Handtaschenhunden“ wie Pinschern oder Chiwawas.
Jetzt hat ein Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern des National Human Genome Research Institute (NHGRI) erstmals in einer umfangreichen Studie untersucht, welche genetische Bandbreite diesen Rasseunterschieden bei den Hunden zugrunde liegt. Dafür analysierten sie die Gene von 915 Hunden aus 80 Haushundrassen sowie von 93 Wildhunden und verglichen dabei mehr als 700.000 Genorte. Zusätzlich wurden zahlreiche physische Eigenschaften der Tiere wie Größe, Gewicht, Form von Schädel, Langknochen und Zähnen oder Ohren erfasst.
Überraschend einfache genetische Architektur
Die vergleichende Analyse der Hundegenome ergab gleich mehrere Überraschungen. So zeigte sich, dass die große Variationsbreite zwischen den Hunderassen auf einer erstaunlich einfachen genetischen Architektur beruht. Diese Architektur visualisierten die Wissenschaftler in einer Art Karte der genetischen Variation der Hunde. Demnach bestimmt eine relativ kleine Anzahl genetischer Veränderungen den Großteil der sichtbaren Unterschiede in den Körpermerkmalen der Hunderassen.
Häufig ist sogar nur eine einzige Genregion für ganze Merkmalskomplexe zuständig, wie beispielsweise bei der Ohrform. So besitzen Wildhunde in der Regel aufgerichtete „Stehohren“, bei vielen Haushunderassen finden sich dagegen Knick- oder Hängeohren. Ob das eine oder andere auftritt, bestimmen Veränderungen in nur einem eng begrenzten Bereich des Genoms.
Deutlicher Unterschied zum Menschen
Darin unterscheiden sich die Hunde deutlich von innerartlichen Variationen beim Menschen, Labortieren oder Zuchtpflanzen. Denn bei diesen kommen phänotypische Unterschiede wie Körpergröße, Gewicht oder Körperfettanteil fast immer erst durch das Zusammenwirken vieler kleiner Genvarianten zustande. So benötigten genomweite Assoziationsstudien beim Menschen hunderttausende von Proben und die Analyse von mehr als 500.000 Einzelmutationen in der DNA, um die Verteilung solcher Varianten ermitteln zu können.
Beim Hund sind es dagegen meist nur Veränderungen in zwei bis sechs Genorten, die bereits 70 Prozent der Merkmalsvarianten hervorrufen. Ein ähnliches Verteilungsmuster ist bisher nur in wenigen anderen Tierarten bekannt, darunter beispielsweise bei den Stichlingen. Nach Ansicht der Forscher könnte dieser Typ der genetischen Architektur daher als Indiz für eine erst vor relativ kurzer Zeit erfolgte Anpassung und eine extrem starke Selektion sein.
Gezielte Züchtung auf starke Unterschiede
Im Falle der Hunde spiegeln die Genvariationen vermutlich einige einzigartige Eigenheiten der Züchtungsgeschichte der Haushunde wieder. So entstanden viele der heute bekannten Hunderassen während der viktorianischen Ära, als der Schwerpunkt auf der Erzeugung immer neuer, ungewöhnlicher Merkmalskombinationen lag. Viele Züchter setzten dabei ihr Augenmerk weniger auf kleinere, subtile Abweichungen, sondern förderten gezielt die Vererbung augenfälliger Unterschiede durch dominante Gene.
Dabei griffen sie zudem oft auf eine nur kleine Anzahl von Ausgangstieren zurück, so dass eine Art genetischer Flaschenhals, eine künstlich erzeugte genetische Verarmung, die Folge war. Damit trägt die genetische Vielfalt der heutigen Hunderassen in einzigartiger Weise die Fingerabdrücke der demografischen und selektiven Einflüsse des Menschen in sich.
(Genome gov, 19.08.2010 – NPO)