Seit über fünfzig Jahre diskutieren Forscher darüber, wie im Gehirn Informationen codiert werden, um sie zuverlässig von einer Hirnregion zur nächsten weiterzuleiten. Die bisher vorgeschlagenen Systeme schienen sich jedoch gegenseitig auszuschließen. Freiburger Forscher haben nun in der Fachzeitschrift „Nature Reviews Neuroscience“ gezeigt, dass beide Codes im Gehirn unter bestimmten Bedingungen auch parallel zum Einsatz kommen können.
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Eines der Rätsel, die das Gehirn den Neurowissenschaftlern aufgibt, ist die Frage nach dem Code, mit dem sich Nervenzellen untereinander austauschen. Dass die Grundeinheit der Kommunikation im Nervensystem pulsartige Schwankungen der elektrischen Spannung an einer Nervenzelle sind, ist seit über hundert Jahren bekannt.
Zwei Codes noch im Rennen
Aber wie diese so genannten Aktionspotenziale zu einem Code zusammengesetzt werden, um Informationen zu übermitteln, wird noch immer heiß debattiert. Zwei mögliche Codes sind dabei im Rennen. Diese basieren einerseits auf der Rate der Aktionspotenziale, andererseits auf den Zeitpunkten ihres Auftretens.
Gehirne zu komplex
Die Hirnforschung hat es aber nicht leicht, die Frage nach dem tatsächlich verwendeten Code zu beantworten. Sogar Insektengehirne sind zu komplex, um heutzutage durch Experimente die verwendete Verschlüsselungsform bestimmen zu können. Theoretische Ansätze, bei denen diese und andere Vorgänge im Gehirn anhand von Computermodellen durchgespielt werden, nehmen daher in den modernen Neurowissenschaften einen wichtigen Platz ein.
Solche Modelle ließen laut früherer Studien bislang nur einen von beiden Codes zu: Die Art, wie Nervenzellen sich verbinden, erlaubte entweder, dass die Rate der Impulse zuverlässig weitergeleitet wurde, oder aber die Zeitpunkte wurde präzise übermittelt.
Beide Codierungsformen gleichzeitig
Arvind Kumar, Stefan Rotter und Ad Aertsen vom Bernstein Center Freiburg konnten nun zeigen, dass unter bestimmten Bedingungen beide Codierungsformen auch gleichzeitig eingesetzt werden können. Die Wissenschaftler belegen, dass frühere Studien die mögliche Koexistenz beider Codes nicht erkannt hatten, da die zugrunde liegenden Modelle an entgegengesetzten Enden eines Spektrums biologisch möglicher Bedingungen lagen.
Umfassendes Konzept der Informationsweiterleitung
In der neuen Studie wiesen sie nun nach, dass sich diese früheren Ergebnisse alle in ein umfassenderes Konzept der Informationsweiterleitung einbinden lassen – und dass es somit durchaus möglich ist, beide Codes gleichzeitig innerhalb desselben Nervennetzes einzusetzen.
Indem sie nun erstmals die hierfür nötigen Bedingungen identifiziert haben, zeigen die Forscher auch auf, worauf bei der Suche nach diesen Codes in „echten“ Gehirnen das Augenmerk künftiger Experimente liegen sollte.
(idw – Universität Freiburg im Breisgau, 30.08.2010 – DLO)