Medizin

Fehlender Protein-Anker schuld an geistiger Behinderung

Neue Methodik der Genomanalyse identifiziert Gendefekt bei Mabry Syndrom

Die DNA ist in den Chromosomen aufgewunden und enthält unsere Gene (ca. 22.000). Mittels eines speziellen Verfahrens der Anreicherung werden die Gene von der restlichen DNA getrennt und sequenziert. Die gewonnen Sequenzen werden bioinformatisch analysiert. Hier zeigt sich eine Mutation von G zu T (rot). © MPI für molekulare Genetik

Seltene Erkrankungen sind oft genetisch bedingt, aber trotz großer Fortschritte in der Genomforschung bleibt die Ursache bei den meisten unklar. Doch das könnte sich jetzt ändern. Denn Wissenschaftler haben ein neues Verfahren benutzt, mit dem alle Gene des menschlichen Genoms auf einmal analysiert werden können. Die Methode wurde erstmals bei drei Kindern einer Familie angewandt, die an einer seltenen Form der geistigen Behinderung leiden – dem Mabry Syndrom.

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Die Analyse ergab eine Veränderung im Gen PIGV, die dazu führt, dass Proteine wie die Alkalische Phosphatase nicht mehr auf der Membranoberfläche der Zellen verankert werden können. Die Ergebnisse zeigen, dass neue Verfahren der Genomsequenzierung geeignet sind, individuelle Veränderungen im Erbgut aufzuspüren und als Ursache für seltene Erkrankungen zu identifizieren, schreiben die Forscher des Max-Planck-Instituts für Molekulare Genetik und des Instituts für Medizinische Genetik der Charité in Berlin in der Fachzeitschrift „Nature Genetics“.

Hochdurchsatz-Sequenziertechnik

Die Wissenschaftler haben damit zum ersten Mal Hochdurchsatz-Sequenziertechnik genutzt, um bei einer seltenen Erkrankung den Gendefekt zu identifizieren. „Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Aus dem gesamten Erbgut haben wir ausschließlich die 24.000 Gene herausgefischt, ihre Sequenz entschlüsselt und auf Mutationen hin überprüft. Mit neuen bioinformatischen Analysen konnten wir die Zahl der Mutationskandidaten auf zwei beschränken – eine davon ist letztlich für das Mabry-Syndrom verantwortlich“, erklärt Michal Ruth Schweiger vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Mit den vorliegenden Ergebnissen lässt sich beispielsweise das Vererbungsrisiko bei betroffenen Paaren mit Kinderwunsch bestimmen.

Gen PIGV verändert

Beim Mabry Syndrom handelt es sich um eine seltene, rezessiv vererbte Erkrankung, die bei den Betroffenen zu geistiger Behinderung, Krampfanfällen und einer charakteristischen Veränderung der Blutwerte führt. Im Blut messbar ist die Erhöhung des Enzyms Alkalische Phosphatase, das normalerweise im Knochenstoffwechsel eine Rolle spielt.

Die Forscher konnten zeigen, dass beim Mabry Syndrom das Gen PIGV verändert ist. PIGV wiederum kodiert für ein Enzym, das an der Bildung des GPI-Ankers beteiligt ist. Dieses Zuckermolekül verbindet Proteine mit der Zellmembran.

Fehlfunktion für geistige Behinderung verantwortlich

Den Berliner Wissenschaftlern zufolge ist das Gen für PIGV so mutiert, dass die Alkalische Phosphatase nicht mehr ausreichend mit der Zellmembran verknüpft wird. Diese löst sich von der Membran, reichert sich im Blut an und führt so zu der Erhöhung der Blutwerte. Die Forscher gehen davon aus, dass PIGV im Gehirn noch für die Verankerung vieler anderer Proteine zuständig ist und dass diese Fehlfunktion für die geistige Behinderung verantwortlich ist.

Basierend auf diesen Ergebnissen können die Wissenschaftler die Erkrankung weiter erforschen und neue Wege für deren Behandlung entwickeln. Die hier entwickelten Methoden der Genomanalyse ermöglichen die Identifikation von Mutationen auch bei sehr seltenen Erkrankungen und sind ein wichtiger Schritt in Richtung einer individualisierten molekular basierten Medizin, so die Forscher in Nature Genetics.

(idw – Max-Planck-Gesellschaft, 30.08.2010 – DLO)

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