Eine Art „molekulare Sonnenbrille“ sorgt dafür, dass die so genannte innere Uhr von Pilzen trotz störender Lichtsignale wie Mondschein oder künstliche Beleuchtung Tag und Nacht nicht verwechselt. Ein spezielles Protein unterdrückt dabei nachts die Wirkung niedriger Lichtintensitäten etwa durch Mond- oder Lampenlicht.
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Damit spielt es eine entscheidende Rolle bei der präzisen Synchronisation der inneren Uhr mit dem Tag-Nacht-Rhythmus. Das hat ein Forscherteam am Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg in Zusammenarbeit mit Fachkollegen der Semmelweis Universität Budapest herausgefunden. Die Wissenschaftler berichten über ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Cell“.
„Circadiane Uhr“
Bei der inneren Uhr von Organismen handelt es sich um molekulare Schrittmacher in den Körperzellen, die den Stoffwechsel und das Verhalten an die Tageszeit anpassen, beispielsweise den Schlaf-Wach-Rhythmus. Da die innere Uhr mit einer Periode von ungefähr 24 Stunden – circa dian = etwa ein Tag – schwingt, wird sie auch als „circadiane Uhr“ bezeichnet. Je nach Tageszeit schaltet sie eine große Zahl von Genen an oder ab.
Mit der äußeren Zeit wird sie durch „Zeitgeber“ wie Licht synchronisiert. So zeigt beispielweise ein Jetlag nach Reisen über mehrere Zeitzonen eine Diskrepanz zwischen der inneren und äußeren Zeit. Unklar war bislang, wie circadiane Uhren trotz störender Lichtsignale aus der Umwelt präzise mit dem Tag-Nacht-Rhythmus synchronisiert werden können.
Pilz Neurospora untersucht
Einem Forscherteam um Professor Michael Brunner vom Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg ist es jetzt zusammen mit der Budapester Wissenschaftlerin Krisztina Káldi bei Untersuchungen am filamentösen Pilz Neurospora crassa gelungen, die Frage zu beantworten. Dieser Schimmelpilz dient den Wissenschaftlern als Modellorganismus, um die innere Uhr auf molekularer Ebene zu erforschen.
Transkriptionsfaktor WCC
Im Zentrum des circadianen Systems von Neurospora steht der Transkriptionsfaktor WCC, ein Protein, das etwa 1.000 Gene in Abhängigkeit von der Tageszeit aktiviert, also „anschaltet“. WCC selbst besitzt einen speziellen Schalter, der auf Licht reagiert, die so genannte LOV-Domäne, und dient dadurch als extrem empfindlicher Lichtrezeptor zur Synchronisation der inneren Uhr mit dem äußeren Tag.
Wenn die Helligkeit mit dem kommenden Tag steigt, wird über die LOV-Domäne der Transkriptionsfaktor WCC „eingeschaltet“, der wiederum die ihm zugeordneten Gene aktiviert. Unter diesen befindet sich ein Gen, das für die Produktion des so genannten VVD-Proteins verantwortlich ist. VVD ist ebenfalls ein Lichtrezeptor mit einer LOV-Domäne, der im Gegenzug WCC wieder „ausschaltet“: Das Vorhandensein von VVD beendet die Wirkung von WCC, sodass auch die Aktivierung der lichtabhängigen Gene sinkt.
Molekulares Gedächtnis der Helligkeit
Nachts wirkt das tagsüber produzierte VVD-Protein den Wissenschaftlern zufolge sozusagen als molekulares Gedächtnis der Helligkeit des vorangegangen Tages: Indem VVD den Transkriptionsfaktor WCC inaktiviert, werden niedrige Lichtintensitäten, etwa durch Mondschein oder eine Lampe, unterdrückt.
Am Ende der Nacht, wenn es wieder hell wird, ist VVD größtenteils abgebaut, so dass der Transkriptionsfaktor WCC nach Angaben der Wissenschaftler wieder „eingeschaltet“ werden kann. Das VVD-Protein wirkt also wie eine Art molekulare Sonnenbrille und sorgt somit auf molekularer Ebene dafür, dass die innere Uhr von Organismen Tag und Nacht nicht verwechselt.
(idw – Universität Heidelberg, 08.10.2010 – DLO)