Eine „Schneeball Erde”-Periode vor rund 700 Millionen Jahren könnte die treibende Kraft für die Entstehung komplexer Lebensformen gewesen sein. Wie amerikanische Forscher jetzt in „Nature“ berichten, verursachten durch das Eis ausgelöste Verwitterungs- und Erosionsprozesse eine Phosphorschwemme im Urozean. Dieser Nährstoffeinstrom führte zu Algenwachstum und damit auch zu steigenden Sauerstoffkonzentrationen in Meer und Atmosphäre – einer Vorbedingung für die Weiterentwicklung der ersten Tiere.
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Die umstrittene Hypothese der „Schneeball-Erde” geht davon aus, dass unser Planet in der Zeit vor 740 bis 580 Millionen Jahren mehrfach von einer von Pol zu Pol reichenden Eisschicht bedeckt war. Diese globalen Frostperioden sollen jeweils Millionen Jahre angehalten haben. Gleichzeitig sollen die geochemischen Bedingungen im eisenreichen Wasser der Ozeane dazu geführt haben, dass Phosphor, ein wichtiger Pflanzennährstoff, knapp wurde und damit die marine Produktivität stark absank.
Phosphor-Signatur in Eisenoxid-Gestein
Doch jetzt haben Forscher der Universität von Kalifornien in Riverside Belege für genau das Gegenteil entdeckt: Statt auf Phosphormangel stießen sie auf Indizien für einen ungewöhnlichen Reichtum dieses Nährstoffs in den Meeren unmittelbar nach Ende der damaligen Frostperioden. Für ihre Studie analysierten sie rund 700 Proben eisenoxidhaltiger Gesteine aus der Zeit während und nach der möglichen Schneeball-Ära. Diese Gesteine entstanden, als eisenhaltige Partikel auf den Meeresgrund sanken und dort zu Sediment wurden.
Bei diesem Prozess wird im Wasser vorhandenes Phosphor als Eisenphosphat gebunden und ausgefällt, so dass die Analyse dieser Gesteine einen Rückschluss auf damalige Phosphorgehalte des Meerwassers ermöglicht. Die Untersuchung ergab, dass es vor 750 bis 635 Millionen Jahren eine ausgeprägte Spitze der Phosphorkonzentrationen gegeben haben muss. Etwa in dieser Zeitperiode fand auch der Übergang von den bisher in den Ozeanen dominierenden Einzellern und ersten primitiven Mehrzellern zu höheren Lebensformen statt.
Treibende Kraft für Ausbreitung komplexen Lebens
„In den geologischen Daten fanden wir eine Signatur für hohe marine Phosphor-Konzentrationen, die unmittelbar nach den glazialen Ereignissen des Schneeball Erde auftauchen“, erklärt Noah Planavsky, Hauptautor der Studie und Geologe an der Universität von Kalifornien in Riverside. „Hohe Phosphorgehalte hätten die biologische Produktivität im Ozean erhöht und auch die damit verbundene Sauerstoffproduktion durch die Photosynthese.“
Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte diese Phosphorspitze der entscheidende Antrieb für die Ausbreitung und Entwicklung der wirbellosen Tiere gewesen sein. Der dadurch steigende Sauerstoffgehalt in Ozeanen und Atmosphäre ermöglichte erstmals auch größeren Tieren das Überleben. „Es gibt verschiedene bereits bekannte Hinweise auf einen Anstieg des Sauerstoffs in den Meeren und der Luft während des mittleren Neoproterozoikums“, erklärt Timothy Lyons, Leiter der Studie. „Der Aufstieg der Tiere ist eine erwartete Konsequenz davon.“
Glaziale Verwitterung als Phosphorquelle
Wie aber kamen die hohen Phosphorwerte damals zustande? Auch dafür haben die Forscher eine Erklärung: Die starke Verwitterung und Erosion, die die Vereisungen und ihr Abtauen begleitete, könnte vermehrt phosphorhaltige Verbindungen aus dem Gestein der Landoberflächen freigesetzt und ins Meer gespült haben.
Diese nährstoffreichen Einträge wiederum kurbelten die Photosynthese und damit die Sauerstoffproduktion der urzeitlichen Meeresalgen an und bereiteten damit den Weg für die Ausbreitung komplexen Lebens auf der Erde. „Unsere Ergebnisse könnten die ersten sein, die den Nährstoffantrieb hinter diesem großen Schritt in der Geschichte des Lebens dingfest machen“, so Lyons. „Und dieser Nährstofffluss war auf das Engste mit dem extremen Klima in dieser Periode verbunden.“
(University of California, Riverside, 29.10.2010 – NPO)