Der Wirkstoff Ziconotid gilt seit einigen Jahren als sichere Alternative zu Opioid-Schmerzmitteln. Doch jetzt haben Forscher aufgedeckt, dass Ziconotid nicht nur die Weiterleitung von Schmerzreizen hemmt, sondern auch die Selbstmordgefahr erhöhen kann. Im Fachjournal „Pain“ raten die Forscher, mit Ziconotid behandelte Patienten sorgfältig zu überwachen.
Der Wirkstoff Ziconotid, das synthetisch hergestellte Gift der Meeresschnecke Conus magus, wurde bei seiner Einführung vor sechs Jahren als sichere Alternative zu Morphin gefeiert. Die Vorteile von Ziconotid: Es verursacht keine opioid-typischen Nebenwirkungen wie Atemdepression und führt nicht zur Gewöhnung. Deshalb wird es seit 2004 auf dem europäischen und amerikanischen Markt über Schmerzmittelpumpen bei Patienten eingesetzt, bei denen Opioide nicht ausreichend wirken oder inakzeptable Nebenwirkungen auslösen. Seit einiger Zeit jedoch mehren sich Berichte über psychische Nebenwirkungen von Ziconotid.
Forscher der Ruhr-Universität Bochum um Professor Christoph Maier haben daraufhin mehrere existierende Studie zu diesem Mittel noch einmal analysiert. Tatsächlich förderten sie dabei auch mehrere Fälle von Suizidversuchen zutage, die die Originalautoren damals aber nicht der Behandlung mit Ziconotid anlasteten. Zudem stellen die RUB-Mediziner zwei neue Fälle von Patienten vor, die den Verdacht erhärten, dass Ziconotid Suizidgedanken verstärkt.
Suizid trotz anfänglicher Besserung
„Der erste Fall ist besonders tragisch, weil ein Patient, der seit Jahren Schmerzen in den Füßen und zahlreiche erfolglose Behandlungsversuche hinter sich hatte, durch Ziconotid erstmals eine deutliche Besserung seiner Schmerzen erlebt hatte“, so Maier. Nebenwirkungen traten nicht auf. Tests ergaben, dass unter der Behandlung mit Ziconotid seine Depressivität, die schon vor Behandlungsbeginn nicht sehr ausgeprägt war, sogar noch sank. Nach gut drei Wochen machte er auf alle einen ausgeglichenen Eindruck. Aber zwei Monate nach dem Beginn der Behandlung mit Ziconotid beging er überraschend Selbstmord.
Halluzinationen und Selbstmordgedanken
Eine andere Patientin, 39 Jahre alt und seit 14 Jahren Rückenschmerzpatientin, hatte vor 20 Jahren depressive Phasen und einen Suizidversuch nach einer Schwangerschaft hinter sich. Zwei Monate nach dem Beginn der Behandlung mit Ziconotid – das sie nach aktuellen Empfehlungen wegen ihrer Vorgeschichte gar nicht hätte erhalten dürfen – berichtete sie über verstärkte Suizidgedanken. Außerdem klagte sie über weitere psychische Nebenwirkungen mit Halluzinationen, Verwirrtheit, die zu zwei schweren Autounfällen geführt hatte, und teilweisen Gedächtnisverlust. Möglicherweise hatten diese Unfälle ebenfalls suizidalen Charakter. Die Mediziner setzten die Ziconotidgaben aus. Zwei Wochen später waren die Suizidgedanken ebenso wie die Halluzinationen verschwunden.
Nochmalige Überprüfung gefordert
„Beide Fälle stützen die Vermutung, dass es zwischen Ziconotid und Suizidneigung einen kausalen Zusammenhang gibt“, so Maier. „Hersteller und Zulassungsbehörden sollten das dringend noch einmal überprüfen“, fordert der Schmerzspezialist. Alle Patienten sollten vor Behandlungsbeginn sorgfältig auf psychische Störungen untersucht und während der Behandlung engmaschig kontrolliert werden, unabhängig von einer Schmerzlinderung durch das Medikament.
„Diese Fälle unterstreichen außerdem, dass eine Steigerung der Schmerztherapie bei Versagen üblicher Mittel nicht immer der richtige Weg ist“, so Maier. „Oft ist sie sogar ein Irrweg, auf den auch auf dem diesjährigen Kongress der deutschen Schmerztherapeuten vor wenigen Wochen bereits hingewiesen wurde.“
(Ruhr-Universität-Bochum, 24.11.2010 – NPO)