Nervenzellen tauschen Informationen über spezielle Kontaktstellen, die Synapsen, aus. Je mehr Synapsen, desto besser, sollte man deshalb meinen. Doch dem ist offenbar nicht so, wie jetzt eine neue Studie belegt. Danach scheint nicht nur der Aufbau sondern auch der Abbau von Synapsen essentiell für Lernen und Gedächtnis zu sein.
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Die Forscher hatten das Protein SynCAM1 untersucht, das Synapsen wie eine Art Klebstoff zusammen hält. Wurde die Eiweiß-Menge experimentell erhöht, stieg die Anzahl der Synapsen – die Nervenzellen sollten mehr Wege zur Übertragung von Informationen haben. Im Verhaltenstest lernten jedoch Mäuse ohne das Protein deutlich besser als Kontrolltiere.
Eine Erkenntnis, die auch für bestimmte Krankheiten interessant sein kann, berichten die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried und der Yale University in New Haven in der aktuellen Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Neuron“.
Großbaustelle Gehirn
Das Gehirn gleicht einer Großbaustelle. Ständig wachsen auf der Oberfläche von Nervenzellen neue Fortsätze. Trifft solch ein Fortsatz auf die entsprechende Struktur einer Nachbarzelle, reifen die Fortsatzenden zu einer Synapse. Erst diese Kontaktstellen machen es möglich, Informationen von einer Zelle zur nächsten zu übertragen. Ist eine vorhandene Synapse ineffizient oder wird nicht mehr gebraucht, so wird sie wieder abgebaut.
Wissenschaftler sind sich einig, dass die Fähigkeiten zu lernen, zu vergessen oder sich an etwas zu erinnern, auf diesem ständigen Umbau des Gehirns beruhen.
Synapsenkleber mit Funktion?
Trotz der geringen Größe von Synapsen ist ihre Funktion mittlerweile recht gut verstanden. Dagegen sind die Entstehung von Synapsen und die daran beteiligten Moleküle nur schwer zu untersuchen. Es konnten bestimmte Proteine identifiziert werden, die die beiden Seiten einer Synapse während ihrer Reifung in Position halten. Ob diese Proteine jedoch auch die Funktion der Synapsen beeinflussen, blieb bisher ungeklärt.
Die deutschen und amerikanischen Wissenschaftler konnten nun einige Funktionen eines dieser Proteine aufdecken. „Das Protein SynCAM1 hält die beiden Seiten einer Synapse wie eine Art Klebstoff zusammen und wir haben uns gefragt, ob das Einfluss auf die Anzahl und die Lebensdauer der Synapsen hat“, berichtet Max-Planck-Forscher Alexander Krupp.
Genetisch veränderte Mäuse im Einsatz
Diesen Fragen gingen die Wissenschaftler nach, indem sie in genetisch veränderten Mäusen die Menge an SynCAM1 zeitweise erhöhten, oder das Protein ganz entfernten. Die Veränderungen, die darauf unter dem Mikroskop und in Verhaltenstests zu beobachten waren, überraschten die Neurobiologen.
Die Ergebnisse zeigten, dass SynCAM1 nicht nur beim Aufbau der Synapsen eine Rolle spielt, sondern auch für den Erhalt von vorhandenen Synapsen wichtig ist. War die Menge von SynCAM1 künstlich erhöht, so fanden die Neurobiologen deutlich mehr Synapsen. Wurde die SynCAM1-Menge dann durch einen genetischen Trick wieder reduziert, verschwanden die zusätzlichen Synapsen wieder. Dieser Effekt war nicht nur auf die Entwicklungsphase des Gehirns beschränkt, in der sich die meisten Synapsen bilden, sondern wurde auch im erwachsenen Gehirn beobachtet.
Leichter lernen ohne SynCAM1
„Man könnte vermuten, dass Tiere mit einer erhöhten Synapsenzahl Informationen besser verarbeiten oder behalten können“, erwägt Valentin Stein, einer der beiden Leiter der Studie. Doch genau das Gegenteil war der Fall – sie lernten schlechter. Ein Verhaltenstest stellte klar, dass Mäuse ohne SynCAM1 schneller lernen und sich besser erinnern können.
Dieses Ergebnis scheint nur auf den ersten Blick unlogisch. Mit SynCAM1 werden zwar mehr Synapsen gebildet. Sie sind jedoch auch stabiler, sodass es schwieriger wird unnötige Verbindungen wieder aufzulösen. Die Neurobiologen vermuten daher, dass der beobachtete Unterschied in der Lernfähigkeit im Abbau ungenutzter Synapsen liegt. Ohne SynCAM1 können sich die Kontakte leichter wieder trennen.
Abbau von Synapsen wichtig für Gedächtnis
„Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig auch der Abbau von Synapsen für Lernen und Gedächtnis ist“, so Stein. Dies ist an sich schon ein kleiner Durchbruch. SynCAM1 könnte jedoch auch bei Krankheiten mit veränderter Synapsenbildung, wie zum Beispiel Autismus, eine Rolle spielen. Ebenso scheint eine therapeutische Bedeutung von SynCAM1, beispielsweise bei der Alzheimerschen Krankheit, nicht ausgeschlossen. Diese Aspekte werden die Wissenschaftler bei ihrer weiteren Forschung im Auge behalten.
(Max-Planck-Institut für Neurobiologie, 10.12.2010 – DLO)