Biologie

Gestresste Fische sterben früher

Bereits kurzzeitige Erhöhung des Stresshormons Kortisol führt Monate später zu verfrühter Wintersterblichkeit

Großmaulbarsch © Eric Engbretson / U.S. Fish and Wildlife Service

Kurzzeitiger Stress bleibt ohne dauerhafte Folgen für alle Organismen – dachte man zumindest bisher. Ein internationales Forscherteam hat nun aber in einer neuen Studie an kanadischen Großmaulbarschen herausgefunden, dass bereits eine fünftägige Erhöhung des Stresshormons Kortisol Monate später zu einer verfrühten Wintersterblichkeit führt. Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass nur chronischer Stress Auswirkungen auf Überleben und Fitness bei Fischen hat.

Milder, über längere Perioden andauernder Stress kann positiv auf Organismen wirken oder aber wichtige Lebensfunktionen schädigen, wenn Stress chronisch wird und der Stressabbau nicht gelingt. Lediglich kurzfristige Stressereignisse, in der Fachsprache als akuter Stress bezeichnet, werden von Organismen hingegen meist problemlos toleriert.

Experiment mit drei Fischgruppen

Dass dies nicht zwangsläufig der Fall ist, haben die Forscher aus Kanada, USA und Deutschland jetzt in ihrem Feldexperiment gezeigt. Darin versahen sie drei verschiedene Versuchsgruppen von Großmaulbarschen mit Peilsendern und ermittelten ihr Schwimmverhalten in hoher Auflösung mit Ultraschalltelemetrie in einem acht Hektar großen Natursee.

Einer Gruppe wurden Injektionen verabreicht, die die Fische über fünf Tage mit einer verhältnismäßig großen Menge an in Kokosöl gelöstem Kortisol versorgten. Kortisol ist ein körpereigenes Stresshormon, das ausgeschüttet wird, sobald der Organismus natürlichen Gefahren – wie Fressfeinden oder Hunger – oder menschlichen Störungen wie Verschmutzung, Schifffahrt und Fischereiaktivitäten ausgesetzt ist.

Einer so genannten Blindgruppe spritzten die Biologen dagegen Kokosöl ohne Kortisol. Diese Substanz übt keinen bekannten Effekt auf den Organismus aus. Außerdem gab es eine Kontrollgruppe, die lediglich mit Peilsendern ausgestattet wurde.

Fatale Kortisolfolgen

Ergebnis des Experiments: Auf kurze Sicht gesehen zeigten die mit Kortisol behandelten Fische eine deutlich höhere Schwimmaktivität, die als Fluchtverhalten interpretiert werden kann. Während der Langzeituntersuchung über den Zeitraum von zwei Monaten verkehrte sich das Verhalten jedoch ins Gegenteil, so die Wissenschaftler. Die unbehandelten Fische sowie die Tiere aus der Blindgruppe zeigten als Reaktion auf eine lang anhaltende, starke Kälteperiode im eisbedeckten See gegen Ende des Winters eine erhöhte Schwimmaktivität, während die zuvor nervös umher schwimmenden, ehemals gestressten Tiere ihre Betriebsamkeit deutlich herunterschraubten.

Ein möglicher Grund für die hohe Schwimmaktivität der Kontroll- und Blindgruppen-Tiere ist nach Ansicht der Forscher, dass die Tiere den geringen Sauerstoffkonzentrationen im See ausweichen wollten. Die zuvor kurzfristig gestressten Fische waren dazu offensichtlich nicht mehr in der Lage, wahrscheinlich als Folge von Erschöpfung und eingeschränkter körperlicher Konstitution. Durch die extremen Wetterbedingungen starben am Ende alle Fische im See als Folge des starken Sauerstoffmangels. Jedoch hielten die mit Stresshormonen behandelten Tiere den widrigen Bedingungen deutlich kürzer Stand.

„Carry-Over-Effekt“ bei Fischen

Ökologen sprechen dabei von einem so genannten „Carry-Over-Effekt“. Damit gemeint ist, dass eine zeitlich begrenzte Belastung des Organismus sich zeitlich versetzt nachteilig auf das Überleben, das Paarungsverhalten oder die Reproduktionsleistung auswirkt.

Die nun vorliegende Studie ist nach Angaben der Forscher die erste weltweit, die klare Belege für zeitlich stark verzögerte Auswirkungen kurzfristiger Stressereignisse bei wildlebenden Fischen vorlegt. Frühere Studien waren meist auf Vogelarten beschränkt.

Kurzfristiger Stress hat langfristige Folgen

Im Zuge der Belastung unserer Gewässer sind wildlebende Fischpopulationen vielen verschiedenen natürlichen und menschgemachten Stressoren ausgesetzt. Fischphysiologen unterscheiden in chronische Stressfaktoren, wie zum Beispiel Temperaturanstieg durch Klimawandel oder andauernden Schadstoffbelastungen, und akute Stressfaktoren, beispielsweise als Folge der Lärmbelastung durch Schifffahrt oder Fangstress beim Zurücksetzen von Beifängen in der Fischerei.

Mit dem Modellversuch konnte das internationale Forscherteam rund um die Studienleiter Professor Steven Cooke von der Carleton-Universität in Ottawa und Professor Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei sowie der Humboldt-Universität Berlin erstmals zeigen, dass Einflüsse auf Fischpopulationen deutlich subtiler wirken als zuvor angenommen.

Fischbestände werden danach nicht nur durch die fischereiliche Entnahme oder den Fraßdruck durch Kormorane beeinflusst, auch kurzfristiger, nicht sofort tödlicher Stress kann längerfristig Auswirkungen auf Überleben und Reproduktionserfolg haben.

Weitere Studien nötig

Die nun vorliegenden Ergebnisse müssen den Wissenschaftlern zufolge in weiteren Studien mit weniger harschen Umweltbedingungen abgesichert werden. Sollte sich die verzögerte Wirkung von milden Stressoren bestätigen, hätte das Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir über den Einfluss von vermeintlich harmlosen Stressoren auf Fischpopulationen denken.

(Forschungsverbund Berlin, 22.12.2010 – DLO)

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