Woher erhalten die gigantischen Schwarzen Löchern in aktiven Galaxienkernen ihre Nahrung? Bisher galt ein Verschmelzen zweier Galaxien als hauptsächlicher„Futterlieferant“, doch ein internationales Forscherteam hat diese Lehrmeinung jetzt widerlegt. Ihre im „Astrophysical Journal“ erschienene Studie an 1.400 Galaxien zeigt, dass es keine Korrelation zwischen Verschmelzung und Aktivität der Galaxien gibt. Die Schwarzen Löcher müssen ihre Nahrung daher vorwiegend anders erhalten haben. Wie, ist noch unklar.
Aktive Galaxienkerne (AGN) zählen zu den hellsten Leuchterscheinungen im All. Ihre enorme Energie rührt von Materie her, die in das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum einer Galaxie fällt. Allerdings ist bislang ungeklärt, wie diese Materie über die letzten wenigen Lichtjahre in die unmittelbare Umgebung des Massemonsters gelangt. Eine in den späten 1980er-Jahren erschienene Studie schien einen geeigneten Mechanismus für den Materietransport zu präsentieren: Verschmilzt eine Galaxie mit einer ähnlich großen anderen Galaxie, würde das Gas dramatisch gestört – und einiges davon würde in Richtung des zentralen Schwarzen Lochs fallen. Ein plausibles Szenario, aber Beweise dafür fehlten noch.
Ein Forscherteam um Mauricio Cisternas und Knud Jahnke vom Max-Planck-Institut für Astronomie hat nach genau diesen Belegen gesucht. In ihrer systematischen Studie wollten sie klären, ob sich die riesigen Schwarzen Löcher im Zentrum von Galaxien tatsächlich auf diese Weise füttern lassen. „Eine so umfassende Studie ist erst kürzlich möglich geworden. Nur die neuesten Durchmusterungen des Weltraumteleskops Hubble liefern die dafür nötigen Daten“, erklärt Cisternas. Vorher habe es keine Möglichkeit gegeben, eine genügend große Anzahl von weit entfernten aktiven Galaxien hinreichend detailliert zu untersuchen.
Aktive und „normale“ Galaxien verglichen
Cisternas und seine Kollegen nutzten die Daten von 140 aktiven Galaxienkernen, die zuvor im Rahmen der COSMOS-Durchmusterung mit Röntgenbeobachtungen des Weltraumteleskops XMM-Newton als aktiv identifiziert worden waren. Das Licht der entferntesten dieser AGN war rund acht Milliarden Jahre unterwegs, bevor es uns erreichte: Wir sehen diese Galaxienkerne so, wie sie vor acht Milliarden Jahren aussahen. Damit umfasst die Stichprobe Daten zum Wachstum Schwarzer Löcher während der gesamten zweiten Hälfte der Geschichte des Universums.
Die Astronomen stellten außerdem eine Kontrollgruppe von normalen Galaxien zusammen – Milchstraßensysteme ohne zentrales Schwarzes Loch, das große Mengen an Materie verschluckt. Für jeden AGN in der Studie wurden aus demselben Satz von Hubble-Bildern neun nichtaktive Galaxien in ungefähr derselben Entfernung und mit derselben Masse ausgewählt, die damit in dieselbe Ära kosmischer Entwicklung gehören. Insgesamt kamen die Forscher auf eine Stichprobe von 1.400 Galaxien. Diese Auswahl erlaubte es, aktive Galaxien und eine dazugehörige Population nicht-aktiver Galaxien direkt miteinander zu vergleichen.
„Blinde“ Begutachtung durch Kollegen
Die Tatsache, dass eine Galaxie in den vergangenen hunderten Millionen Jahren das „Opfer“ einer großen Verschmelzung war, zeigt sich an ihrer Gestalt: Sie ist dann in charakteristischer Weise verzerrt. Für Bilder von weit entfernten Galaxien ist die automatische Auswertung durch Computerprogramme allerdings nur zweite Wahl. Als deutlich effektiver erweist es sich, die Aufnahmen von Astronomen direkt begutachten zu lassen.
„Allerdings hatten wir dabei das Problem, wie wir mit Erwartungen und mit möglichen Vorurteilen umgehen sollten. Alle Beteiligten kannten Galaxienverschmelzungen als plausiblen Mechanismus für die AGN-Aktivität – würden sie die AGN daher unbewusst häufiger als verzerrt einstufen?“, sagt Koautor Jahnke.
Um solche unbewussten Fehleinschätzungen auszuschließen, entschieden die Forscher, ihr Projekt als Blindstudie auszuführen – ein Standardverfahren etwa in der medizinischen Forschung, aber in der Astronomie recht ungewöhnlich. Mauricio Cisternas entfernte diejenigen Bildbestandteile, die auf die Aktivität einer Galaxie hinweisen, sodass die Gutachter keine Möglichkeit haben würden, anhand des Bildes zu erkennen, ob sie es mit einer aktiven oder inaktiven Galaxie zu tun hätten.
Keine Korrelation von aktiv und verzerrt
Die beiden Stichproben wurden anschließend gemischt und die Bilder zehn Galaxienexperten aus acht verschiedenen Instituten vorgelegt mit der Aufgabe, jede Galaxie als „verzerrt“ oder „nicht verzerrt“ einzuschätzen. Im Einzelnen waren die Beurteilungen der Experten durchaus unterschiedlich – ein Zeichen dafür, dass die Astronomen unterschiedlich strenge Kriterien anlegten.
Doch bei dem entscheidenden Aspekt kamen alle zum selben Ergebnis: Keine der Klassifikationen zeigte einen signifikanten Unterschied zwischen aktiven und inaktiven Galaxien. Es gab offenbar keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Aktivität einer Galaxie und ihrer Verzerrung, und damit offenbar keine Korrelation zwischen einem „fetten“ galaktischen Schwarzen Loch und der Teilnahme der Galaxie an großen Verschmelzungsereignissen.
75 Prozent der Schwarzen Löcher muss andere Ursachen haben
Galaxienverschmelzungen sind in der kosmischen Geschichte durchaus häufig und sie tragen zumindest zur Aktivität einiger AGN bei. Die Studie zeigt aber, dass sie weder ein universeller noch der wichtigste Mechanismus zur Fütterung Schwarzer Löcher sind. Der statistischen Auswertung zufolge gibt es für mindestens 75 Prozent – und vielleicht sogar für die gesamte AGN-Aktivität der vergangenen acht Milliarden Jahre – andere Erklärungen.
Zu den Möglichkeiten, Materie zu zentralen Schwarzen Löchern zu transportieren, gehören instabile Gebilde wie die Balken einiger Spiralgalaxien sowie Zusammenstöße gigantischer Molekülwolken innerhalb einer Galaxie. Oder der nahe Vorbeiflug einer anderen Galaxie, bei dem es aber nicht zu einer Verschmelzung kommt.
Könnte es wenigstens in noch fernerer Vergangenheit – also bei noch weiter entfernten aktiven Galaxien – einen Zusammenhang zwischen Verschmelzungen und Aktivität der galaktischen Kerne gegeben haben? Dieser Frage will sich das Team als nächstes zuwenden. Die richtigen Daten dafür versprechen zwei derzeit laufende Beobachtungsprogramme (Multi-Cycle Treasury Programs) des Weltraumteleskops Hubble sowie Beobachtungen seines Nachfolgers, des James Webb-Weltraumteleskops, das frühestens 2014 seine Arbeit aufnehmen wird.
(Max-Planck-Gesellschaft, 06.01.2011 – NPO)