Das Erbgut der Orang- Utans ist dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen näher als jedes andere Primatengenom. Das enthüllt jetzt die Sequenzierung von elf kompletten Orang-Utan-Genomen durch ein internationales Konsortium. Die in „Nature“ veröffentlichten Ergebnisse zeigen auch, dass sich in der Evolution der Primaten besonders die Gene verändert haben, die am Sehen beteiligt sind, aber auch solche, die den Fettstoffwechsel beeinflussen.
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Eine große internationale Arbeitsgemeinschaft hat die vollständige DNA-Sequenz eines weiblichen Sumatra-Orang-Utans und zehn weiterer Orangs aus Sumatra und Borneo entschlüsselt. Auf jeder der beiden Inseln lebt eine eigene Orang-Art. Neben der klassischen Genomsequenzierung verwendete das Forschungsteam für seine Analysen neuartige, so genannte Next-Generation- Sequencing-Techniken, die besonders effizient und kostengünstig sind. Aus den Ergebnissen ergeben sich neue Perspektiven auf die Evolution der Menschenaffen und des Menschen.
Orang-Utans dem Ur-Hominiden am nächsten
Die Analysen des internationalen Teams zeigten unter anderem, dass das Genom von Orang- Utans erstaunlich stabil ist. Im Laufe der Evolution scheint es bei ihnen viel weniger Fälle von so genannten Genom Rearrangements und Genduplikationen gegeben zu haben als bei Schimpansen oder beim Menschen. Damit stehen Orang-Utans einem vermuteten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen genetisch am nächsten.
Orang-Utan-Arten erst spät getrennt
Die Untersuchungen legen zudem nahe, dass sich die beiden auf Sumatra und Borneo lebenden Orang-Utan-Arten viel später getrennt haben als bisher vermutet, nämlich erst vor 400.000 Jahren. Dabei unterscheiden sich überaschenderweise die Tiere auf Sumatra untereinander genetisch stärker als die auf Borneo, obwohl die auf Sumatra lebende Population deutlich kleiner ist als auf Borneo. Mit noch lebenden 7.500 Tieren gilt der Bestand des Sumatra-Orang-Utans heute als akut bedroht.
„Die größere Diversität bei Sumatra-Orang-Utans im Vergleich zur Orang-Utan-Art auf Borneo könnte sich als sehr wichtig für Maßnahmen zur Arterhaltung erweisen. Wir müssen tun, was wir können, um die genetische Vielfalt beider Arten zu erhalten“, erklärt Carolin Kosiol vom Institut für Populationsgenetik der Tiermedizinsischen Universität Wien, die ebenfalls an den Analysen mitgewirkt hat.
Sehsinn und Fettstoffwechsel am stärksten verändert
Kosiol untersuchte im Rahmen ihrer Beteiligung an die 14.000 menschliche Gene, die auch bei Orang-Utans, Schimpansen, Makaken und bei Hunden vorkommen. Sie fand heraus, dass Gene, die mit dem Sehsinn und mit dem Stoffwechsel von bestimmten Fetten, so genannten Glycolipiden, in Verbindung stehen, besonders stark der evolutionären Selektion ausgesetzt waren. Störungen des Glycolipid-Stoffwechsels werden heute beim Menschen mit einer Reihe von Erkrankungen des Nervensystems in Verbindung gebracht.
„Veränderungen im Fettstoffwechsel könnten bei Primaten durchaus einen großen Einfluss auf die Evolution des Nervensystems gehabt haben, genauso wie auf die Anpassung an sich ändernde Nahrungsquellen oder auf Veränderungen im Lebenszyklus“, erklärt Kosiol.
(Veterinärmedizinische Universität Wien / Nature, 27.01.2011 – NPO)