Am Beispiel von Rentier und Europäischer Sumpfschildkröte hat ein internationales Forscherteam die Reaktionen der Tierwelt auf das Ende der letzten Eiszeit untersucht. Die Beobachtungen zeigen, wie sensibel und vergleichsweise rasch die Verbreitungsgebiete von Tierarten auf eine Klimaerwärmung reagieren. Diese jetzt in der Fachzeitschrift „Global Change Biology“ veröffentlichten Erkenntnisse geben wertvolle Hinweise auch auf die Reaktionen von Tieren auf die zukünftige Erwärmung.
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Untersuchungen von Eisbohrkernen und andere Klimanachweise aus Nordeuropa zeigen markante Veränderungen vor rund 11.700 Jahren. Am Ende der Kaltzeit, des so genannten Grönland-Stadials-1, explodierten damals die Temperaturen innerhalb von nur einem bis drei Jahren. Dieser Anstieg zog deutliche Veränderungen der Vegetation nach sich, aus Tundren wurde Birkenwald, dann kamen Kiefern. „Vor allem im Hinblick auf das gegenwärtige Artensterben interessiert uns Naturwissenschaftler, wie sich das Ende der letzten Eiszeit auf die Zusammensetzung von Tiergemeinschaften, auf Aussterbedynamiken und auf die Gen-Pools von Arten ausgewirkt hat“, erklärt Robert Sommer vom Institut für Natur- und Ressourcenschutz an der Universität Kiel.
Die starke Erwärmung am Ende der Eiszeit könnte, so die Hoffnung der Forscher, wertvolle Erkenntnisse über die Reaktion von Pflanzen- und Tierarten auf eine schnelle starke Erwärmung liefern, eine Erwärmung, wie sie im Zuge des Klimawandels prognostiziert wird. Bisher jedoch fehlten detaillierte und gut datierte Chroniken über den Verlauf regionaler Aussterbeereignisse und die Zuwanderung von Arten. Um dies zu ändern, führte das deutsch-finnisch-schwedische Wissenschaftler-Team DNA-Analysen durch und untersuchte Geweihe sowie fossile Knochen aus der Region Skåne nach der Radiokarbonmethode.
Rentier und Sumpfschildkröte als Anzeigearten
Im Fokus standen dabei vor allem Rentier (Rangifer tarandus) und Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) – ein typisch eiszeitliches Tier und ein wärmeliebenderer Vertreter der Fauna. Die komplett gegensätzlich angepassten Arten gelten als bedeutende Anzeiger für eis- oder warmzeitliche Klimabedingungen. Anhand der umfangreichen Datensätze erstellten die Forscher eine detaillierte Chronologie der klimagesteuerten Verbreitungsprozesse für den Zeitraum von vor 14.700 bis vor 9.100 Jahren. Damit konnten sie erstmals eine Areal- und Faunenverschiebung mit einem Temperatur-/Zeitverlauf korrelieren und für ein geografisch zusammenhängendes Gebiet darstellen.
Gravierende Veränderungen in sehr kurzer Zeit
Der Fossilbericht zeigt, dass die Rentierpopulation nach Beginn der Erwärmung schnell schrumpfte. Der letzte Fund stammt aus der Zeit vor 10.300 Jahren. Die Sumpfschildkröte dehnte ihr Verbreitungsgebiet dagegen nach Norden aus und traf rund 450 Jahre später im Untersuchungsgebiet ein. Während die steigenden Temperaturen Emys orbicularis ein Maximum an Verbreitung ermöglichten, wurde der Lebensraum des Rens durch die Erwärmung kontinuierlich reduziert. Im Gegensatz zu etlichen, längst ausgestorbenen Eiszeitriesen hat das Ren jedoch in arktischen Regionen überlebt.
„Der radikale Umschwung hat Landschaft und Tierwelt in einer vergleichsweise kurzen Zeit gravierend verändert“, erklärt Professor Uwe Fritz, Leiter des Museums für Tierkunde an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden. „Die Europäische Sumpfschildkröte, eine Art, die warme Klimabedingungen benötigt, hat das Ren, ein typisches Eiszeittier, quasi ersetzt.“ Auch für die restliche Tierwelt blieb die damalige Erwärmung nicht ohne Folgen: Charakteristische Pleistozän-Arten wie der Berglemming, Pfeifhasen und die Schneemaus verschwanden. Funde aus Holozän-Ablagerungen zeigen, dass Hasel- und Rötelmaus, Siebenschläfer, Wildkatze und andere Wirbeltierarten sich zu der Zeit in den südschwedischen Wäldern eingenischt hatten.
Verbreitungsgebiete sehr sensibel
„Unsere Beobachtungen zeigen, wie sensibel und vergleichsweise rasch die Verbreitungsgebiete von Tierarten auf Klimaveränderungen reagieren. In der heute vom Menschen ungleich stärker beeinflussten Umwelt sind Verschiebungen der Verbreitungsgebiete viel schwieriger, so dass der Klimawandel das Aussterben zahlreicher Arten verursachen kann“, erklärt Fritz die Bedeutung der Forschungsergebnisse für die Gegenwart.
(Senckenberg Research Institute and Natural History Museum, 29.04.2011 – NPO)