Neurobiologie

Tranquilizer beeinflusst Entscheidungen

Reaktion auf unfairen Handel keine Sache der Vernunft

Aktivität des Mandelkerns während des Spiel-Experiments © Katarina Gospic et al. / PLoS Biology

Die Entscheidung, nicht auf einen unfairen Handel einzugehen, ist keine reine Sache des Verstandes. Stattdessen mischt der Mandelkern mit, das für elementare Emotionen wie Furcht oder Angst zuständige Hirnzentrum. Das enthüllt eine jetzt in der Fachzeitschrift „PLoS Biology” veröffentlichte Studie schwedischer Forscher. Brisant dabei: die Versuche zeigen auch, dass die Einnahme von Tranquilizern die Entscheidung für oder gegen einen unfairen Deal beeinflusst.

Wenn wir uns übers Ohr gehauen fühlen oder unfair behandelt, rebelliert unser Gerechtigkeitssinn. Wir reagieren wütend, wenn jemand den geltenden Gerechtigkeitsnormen zuwiderhandelt. Was dabei im Gehirn passiert, das hat ein Forscherteam des schwedischen Karolinska Instituts jetzt mit einem Spiel-Experiment und bildgebenden Verfahren genauer untersucht. Die Wissenschaftler führten dafür mit 35 Freiwilligen ein geldbasiertes Fairness-Spiel durch. Dabei sollte jeweils ein Spieler seinem Gegenüber vorschlagen, wie eine festgelegte Geldsumme zwischen ihnen aufgeteilt wird. Sein Partner konnte diesen Vorschlag jeweils entweder akzeptieren, dann bekamen beide den ausgehandelten Anteil. Oder aber er lehnte ihn ab, dann erhielt keiner der beiden etwas von dem Geld.

Lieber nichts als ein unfairer Handel

Die Reaktionen waren zunächst wie erwartet: „Wenn die zur Verfügung stehende Summe bei 100 schwedischen Kronen liegt und der Vorschlag lautet 50 für Jeden, dann akzeptiert dies jeder und sieht es als fair an“, erklärt Katarina Gospic vom Karolinska Institut in Stockholm. „Aber wenn der Vorschlag lautet: du bekommst 20 und ich nehme 80, dann wird dies als unfair empfunden.“ In ungefähr der Hälfte der Fälle, so schildert die Forscherin, endet der Versuch damit, dass die Probanden den Vorschlag als nicht akzeptabel zurückweisen. Sie nehmen lieber den Verlust der 20 Kronen in Kauf, als sich auf einen unfairen Deal einzulassen. „Indem sie dies tun, verlieren sie zwar selbst, bestrafen aber gleichzeitig auch den Spieler, der den unfairen Vorschlag gemacht hat.“

Mandelkern statt Großhirnrinde

Während dieser Spiel-Experimente beobachteten die Wissenschaftler die Gehirnaktivität der Probanden mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI). Dabei zeigte sich Überraschendes: Denn vorhergehende Studien hatten meist ergeben, dass finanzielle Entscheidungen sich im präfrontalen Cortex abspielen, dem Bereich, in dem bewusste Entscheidungen getroffen und Emotionen kontrolliert und bewertet werden.

Im jetzt durchgeführten Spiel-Experiment leuchtete allerdings ein ganz anderer Bereich des Gehirns bei den Entscheidungen auf: die Amygdala, auch Mandelkern genannt. Diese Hirnregion ist ein evolutionär sehr alter Hirnbereich und steuert vor allem elementare Emotionen wie Furcht oder Angst. Die Heftigkeit und Aggressivität der Reaktion der Probanden auf einen unfairen Vorschlag war umso größer, je stärker auch ihre Mandelkernaktivität im Gehirn war. Generell neigten dabei die männlichen Versuchsteilnehmer zu aggressiveren Reaktionen als die Frauen.

„Dies ist ein unglaublich interessantes Ergebnis, denn es zeigt, dass nicht nur Prozesse im Neocortex diese Art von Entscheidungen über finanzielle Gerechtigkeit bestimmen, wie zuvor angenommen“, erklärt Martin Ingvar vom Karolinska Institut.

Tranquilizer beeinflusst Entscheidung

In einem weiteren Versuch wollten die Forscher testen, wie die Entscheidung beeinflusst wird, wenn die Probanden ein auf die Amygdala wirkendes Medikament einnehmen, den Tranquilizer Oxazepam. Ein Teil der Probanden erhielt dafür das Medikament, ein anderer unwissentlich eine harmlose Zuckerpille als Placebo. Erneut wurde das Geld-Teil-Spiel gespielt.

Das Ergebnis: Diejenigen, die den Tranquilizer erhalten hatten, neigten dazu, auch eine unfaire Verteilung des Geldes zu akzeptieren. Sie empfanden die Aufteilung auf Nachfrage zwar als unfair, entschieden sich aber dennoch für eine Annahme des Vorschlags. Die fMRI-Bilder zeigten, dass dabei ihr Mandelkern deutlich weniger aktiv war als bei Probanden der Kontrollgruppe ohne Wirkstoff. „Unsere Erkenntnis kann ethische Implikationen haben, weil die Einnahme bestimmter Wirkstoffe offensichtlich unsere alltäglichen Entscheidungsprozesse beeinflussen kann“, so Ingvar.

(Karolinska Institutet, 05.05.2011 – NPO)

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