Biotechnologie

Wurm regeneriert sich aus nur einer Zelle

Pluripotente Stammzellen verleihen dem Plattwurm seine Regenerationsfähigkeit

Aus einem Neoblasten entstandene Kolonie neuer Zellen (rot) in einem Plattwurm © Peter Reddien

Dem Plattwurm reicht nur eine einzige Körperzelle aus, um sich daraus komplett neu zu erschaffen. Das zeigt eine jetzt in „Science“ veröffentlichte Studie amerikanischer Forscher. Sie wiesen eindeutig nach, dass der für seine Regenerationsfähigkeit berühmte Wurm auch als Erwachsener noch zahlreiche „Alleskönner“-Stammzellen besitzt. Von diesen reicht dann ein überlebendes Exemplar, um sämtliche Zellen und Gewebe des Wurmkörpers wieder herzustellen.

Der Plattwurm gilt schon seit langem als Regenerationswunder: Teilt man ihn in Stücke, bildet sich aus jedem Fragment ein neuer Wurm, komplett mit Kopf, Haut, Nervensystem, Darm und was sonst noch dazu gehört. Wie allerdings der Wurm diese gigantische Rekonstruktion auf der zellulären Ebene bewältigt, war bisher nur in Teilen klar. „Die zentrale Frage ist, wo all dieses neue Material herkommt“, erklärt Peter Reddien vom Howard Hughes Medical Institute.

Theoretisch gäbe es dafür zwei Möglichkeiten: Entweder behält der Plattwurm immer einen Fundus weit verteilter Stammzellen, aus denen alle benötigten Zelltypen erzeugt werden können. Oder aber es gibt jeweils gewebespezifische Stammzellen, die nur jeweils die zu ihrem Bereich gehörenden Zellsorten produzieren. Aber welche Variante nutzt der Plattwurm?

Wie vielseitig sind Neoblasten?

Um das herauszufinden, führte Reddien gemeinsam mit Daniel Wagner und Irving Wang vom Massachusetts Institut of Technology (MIT) eine Studie durch, in der sie gezielt die Neoblasten, den Zelltyp, auf dem die Regeneration beruht, isolierten und näher untersuchten. Dafür verhinderten die Forscher zunächst die Zellteilung der normalen, ausdifferenzierten Zellen mit Hilfe ionisierender Bestrahlung. Die Dosis der Strahlung wählten sie so, dass einige undifferenzierten Neoblasten überlebten. Diese sind dafür bekannt, dass sie beispielsweise in Wunden und andere reparaturbedürftige Stellen einwandern und dort zerstörte Zellen ersetzen helfen. Die noch funktionsfähigen Neoblasten isolierten die Wissenschaftler und vermehrten sie in Kultur.

Dabei zeigte sich, dass einige der Neoblasten tatsächlich noch die Fähigkeit zu besitzen schienen, alle möglichen Zelltypen zu erzeugen. Der ultimative Test erfolgte mit einem Plattwurm, dem die Forscher durch Bestrahlung jegliche Zellteilungsfähigkeit und damit auch Regenerationsmöglichkeit genommen hatten. In diesen Wurm transplantierten sie eine einzige der so genannten clonogenischen Alleskönner-Neoblasten.

Plattwürmer, hier Dugesia tigrina, können sich selbst aus kleinsten Gewebeschnipseln regenerieren. © gemeinfrei

Eine Zelle rekonstruiert komplettes Tier

Was nun folgte, „war fast die Art von Ereignis, die man in einem Science-Fiction-Film erwarten würde”, so Reddien. „Nach und nach bevölkerte die Zelle das gesamte Tier mit sich teilenden und vermehrenden Zellen. Die Gewebe des Wirtstieres wurden dabei langsam aber vollständig durch die Abkömmlinge des transplantierten Neoblasten ersetzt. Alle Teile des Körpers – Nieren, Darm, Augen, Gehirn, Haut oder Muskel – wurden regeneriert. Alles stammte von der einen Startzelle ab.“ Der auf diese Art wiederauferstandene Wurm lebte weiter als wäre nichts geschehen und schien völlig normal: “Er kann fressen und wachsen. Es kann sich sogar durch den typischen asexuellen Reproduktionsmodus vermehren“, so Reddien.

Mit dieser Entdeckung steht nun auch die Antwort auf die Ausgangsfrage fest: Die Regenerationsfähigkeit der Plattwürmer geht von omnipotenten Stammzellen aus, nicht von gewebespezifischen. Gleichzeitig liefert dies auch wertvolle Erkenntnisse für die Humanmedizin. „Die meisten der Gene im Plattwurmgenom haben menschliche Gegenparts“, erklärt Reddien. „Die Erforschung dieser Zellen könnte molekulare Mechanismen entschlüsseln, die auch bei menschlichen Stammzellen Pluripotenz und Selbsterneuerung ermöglichen würden.“ (Science, 2011; DOI: 10.1126/science.1206913)

(Howard Hughes Medical Institute, 13.05.2011 – NPO)

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