Ein im schwäbischen Alpenvorland entdeckter fossiler Backenzahn hat sich als Relikt des ältesten bekannten Menschenaffen Eurasiens entpuppt. Eine neue Datierung der Fundstelle durch ein internationales Forscherteam ergab für ihn ein Alter von 17 Millionen Jahren. Damit gehörte dieser Menschenaffen der ersten Auswanderungswelle der Hominoiden aus Afrika an. Diese erwies sich aber vermutlich als Sackgasse, wie die Forscher in der Fachzeitschrift „Journal of Human Evolution“ berichten. Erst spätere Auswanderer entwickelten sich zu den heutigen in Asien lebenden Menschenaffenarten wie dem Orang-Utan weiter.
Afrika gilt als Evolutionszentrum des Menschen und seiner Vorfahren. Jedoch schon lange bevor der moderne Mensch vor 125.000 Jahren Afrika verlies, migrierten, wie Fossilfunde zeigen, seine engen Verwandten wiederholt nach Eurasien. Wie oft, wann genau und warum Menschenaffen „out of Africa“ unterwegs waren, ist Gegenstand intensiver Forschung. Bereits am 24. Juni 1973 entdeckte der Gründer und damalige Leiter des Geologisch-Paläontologischen Instituts der Universität Mainz, Heinz Tobien, im „Steinbruch am Talsberg“ auf der Gemarkung Engelswies in Schwaben einen Backenzahn eines Primaten. Erst 2001 jedoch wurde der Zahn genauer untersucht und als Backenzahn eines Menschenaffen identifiziert. Doch die Datierung blieb umstritten.
Datierung durch Leitfossilien und Magnetfeldumpolungen
Madelaine Böhme vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoecology (HEP) der Universität Tübingen hat zusammen mit Kollegen aus Helsinki, München und Stuttgart verschiedene Methoden kombiniert, um die Ausgrabungsschicht, in der der Zahn gefunden worden ist, möglichst genau zu datieren. Heute ist dort ein unter Paläontologen für seine Fossilienfunde bekannter ehemaliger Steinbruch. Neben der relativen Datierung über Leitfossilien wie beispielsweise der Backenzähne des Nagetiers Megacricetodon bavaricus nutzten die Forscher um Böhme zudem die Tatsache, dass sich im Laufe der Erdgeschichte das Erdmagnetfeld mehrfach umgekehrt hat für die erste direkte magnetostratigrafische Eichung der Fundstätte Engelswies.
Als Vergleichsmaßstab zur absoluten Datierung diente die unter Geowissenschaftlern anerkannte „Astronomical Tuned Neogene Time Scale“ (ATNTS04). Die Forscher fanden in einer rund fünf Meter dicken Ablagerungsschicht oberhalb und unterhalb der Fundschicht ein gegenüber heute umgekehrt gepoltes Magnetfeld. Die Entstehungszeit der Schicht, in welcher der hominoide Backenzahn gefunden worden ist, ließ sich somit auf einen vergleichsweise engen Zeitraum vor 17 bis 17,1 Millionen Jahren eingrenzen.
Menschenaffen gehörte zur ersten Einwanderungswelle
„Die chronologischen Zusammenhänge unterstützen die Vorstellung, dass der Hominoid von Engelswies von afro-arabischen Afropithecinen abstammte“, schreiben die Forscher. Er wäre damit der erste Menschenaffe, der aus Afrika nach Eurasien eingewandert ist. „Die große Lücke zwischen dem Engelswies-Hominoiden und späteren aus Afrika stammenden Menschenaffen in Europa führt uns aber zusammen mit paläoklimatischen Überlegungen zu der Vermutung, dass diese frühe Auswanderung aus Afrika in einer Sackgasse geendet hat.“ Möglicherweise erst vor 14 Millionen Jahren sind afrikanische Menschenaffen erneut nach Eurasien gekommen und haben sich hier zu den ersten großen Menschenaffen wie dem heutigen Orang-Utan weiterentwickelt.
Tropisches Paradies im Voralpenland
Anhand fossiler Funde rekonstruierten die Forscher auch Vegetation und Klima der Region vor der 17 Millionen Jahren. Demnach herrschte damals eine Jahresdurchschnittstemperatur von 20 Grad Celsius in Süddeutschland, was etwa elf Grad über den heutigen Werten liegt; Frost gab es im Winter nicht. Südlich des Sees erstreckte sich sumpfiges Land mit Schilfrohr und einem schmalen Uferstreifen aus Bäumen, Palmen, darunter kletternde Rattan-Palmen, Lianen, Farnen und Kräutern. Auf der Nordseite erhob sich ein Hang mit immergrünem Laubwald. Die gefundene Vegetation ist einzigartig für das Voralpenland. Die Forscher vermuten als Ursache regionale Besonderheiten und eine Zeit relativ schnellen Klimawechsels. (Journal of Human Evolution (2011), doi:10.1016/j.jhevol.2011.04.012)
(Universität Tübingen, 24.06.2011 – NPO)