Ein bislang im Tierreich unbekanntes mechanisches Prinzip haben Forscher jetzt bei Rüsselkäfern entdeckt. Die Hüfte des Käfers Trigonopterus oblongus besitzt nicht wie normalerweise im Tierreich üblich Scharniergelenke, sondern Gelenke, deren Teile wie Schraube und Mutter ineinander greifen. Dieses erste bekannte biologische Schraubengewinde ist nur rund einen halben Millimeter groß. Wie die Wissenschaftler in „Science“ berichten, gelang die detaillierte Untersuchung daher nur mit Hilfe hochauflösender Synchrotronstrahlung.
In der Natur sind in der Regel Kugel- oder Scharniergelenke an Hüften und Schultern im Einsatz, welche für Organismen wesentlich leichter umsetzbar sind. Schrauben und Muttern dagegen kannte man bislang nur aus der Technik, meist, um Bauteile fest miteinander zu verbinden. „Nun zeigt sich aber, dass uns die Natur auch bei der Erfindung von Schraube und Mutter zuvor gekommen ist, denn Rüsselkäfer laufen wahrscheinlich bereits seit etwa 100 Millionen Jahren mit einer derartigen Konstruktion herum”, sagt Alexander Riedel vom Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe. Gemeinsam mit Kollegen der Universität Düsseldorf und vom Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) hat er Exemplare der Rüsselkäferart Trigonopterus oblongus genauer untersucht.
Gelenkrekonstruktion mittels Mikrotomographie
Die Analyse des nur rund einen halben Millimeter großen Gelenks erfolgte mit Hilfe eines neu installierten Mikrotomographen der Synchrotronstrahlungsquelle ANKA am Karlsruher Institut für Technologie. Aus den Daten rekonstruierten die Forscher ein dreidimensionales Modell des ungewöhnlichen Schrauben-Gelenks. „Eine solche Konstruktion für die Beinbewegung bei Tieren ist schon sehr ungewöhnlich, denn hier bewegen sich großflächig Skelettteile aufeinander. Die Versorgung des Beins kann nur durch eine winzige Öffnung im Zentrum der Schraube geschehen”, sagt Thomas van de Kamp vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Schraubengelenk verbessert Kletterfähigkeit
Rüsselkäfer sind zwar in der Regel schwerfälliger als viele andere Käferfamilien, wie etwa die Laufkäfer. Aber die Transformation eines Scharniergelenks in ein Schraubengelenk ermöglichte ihnen, mit ihren Beinen weiter nach unten greifen zu können, was sie zu besseren Kletterern machte. Der hier untersuchte Rüsselkäfer Trigonopterus oblongus lebt auf Laub und Zweigen in den Urwäldern Papua-Neuguineas. Zum Fressen bohrt er seinen Rüssel ins Pflanzengewebe und hält sich dabei mit den Beinen fest. Vermutlich bietet das Schraubengelenk auch dabei Vorteile.
„Wir haben mittlerweile verschiedene andere Rüsselkäferarten untersucht und tatsächlich immer Schraubengelenke gefunden“, erklären Riedel und van de Kamp. „Das Gelenk scheint offenbar bei allen Rüsselkäfern vorzukommen, von denen ein enormer Artenreichtum von weltweit mehr als 50.000 verschiedenen Arten bekannt ist.“ In diesem Fall hätte das Forscherteam mit dem Schraubengelenk ein bisher unbekanntes Basismerkmal der ganzen Familie der Rüsselkäfer identifiziert. Zu den bekanntesten in Deutschland heimischen Vertretern zählen der Haselnussbohrer und der Eichelbohrer, außerdem der Kornkäfer, ein Getreideschädling. (Science, 2011; DOI:10.1126/science.1204245)
(Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 01.07.2011 – NPO)