Die Ozeane der Erde enthalten unvorstellbar große Mengen an Viren. Bisher sei aber kaum etwas über Lebensweise und Verteilung dieser Organismen bekannt gewesen. In rund zehnjähriger Arbeit haben die Wissenschaftler nun erstmals die räumliche und zeitliche Verteilung dieser Viren in einem Meeresgebiet im Atlantik genauer erforscht. Dabei habe man entdeckt, dass ein Großteil der Viren in den oberen Wasserschichten vor allem Blaualgen angreife, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „ISME Journal“.
Rund zehn Millionen Viren finde man in jedem Tropfen Meerwasser von der Wasseroberfläche, sagen Forscher. Insgesamt schätze man die Virenmenge in den Weltmeeren auf eine Quintillion – eine Zahl mit 30 Nullen. Die meisten dieser Meeresviren gehören zu den sogenannten „Phagen“ und sind auf Bakterien als Wirte spezialisiert. Eine Infektion mit den Viren töte die Bakterien ab und führe dazu, dass diese aufplatzen und ihren gesamten Zellinhalt ins Meerwasser abgeben, berichten Craig A. Carlson von der University of California in Santa Barbara und seine Kollegen. Dieser Prozess liefere eine entscheidende Nahrungsgrundlage für die Lebenswelt im eher nährstoffarmen offenen Ozean. „Als Folge ihrer schieren Menge und ihrer hohen Wachstumsraten sind marine Viren und Bakterien verantwortlich für die Umwandlung und Verteilung der für das Leben essenziellen Elemente“, sagen die Forscher.
Für ihre Studie sammelten die Wissenschaftler zehn Jahre lang jeden Monat Wasserproben aus der Sargasso See im Nordatlantik. Die Proben stammten dabei aus unterschiedlichen Tiefen innerhalb der oberen 300 Meter des Meerwassers. Die Wissenschaftler analysieren in den Proben sowohl die Dichte der Meeresviren als auch die Mengen verschiedener Algen und Bakterien, um Hinweise auf mögliche Wechselwirkungen zu finden.
Viren bevorzugen Blaualgen als Nahrung
Die Auswertung zeigte, dass die Viren sich in ihrer Menge und Verteilung im Laufe des Jahres stark veränderten. „Ein jährliches Viren-Maximum entwickelte sich im Sommer in Wassertiefen zwischen 60 und 100 Metern“, berichten die Forscher. Im Winter habe die Virendichte dagegen deutlich abgenommen. „Die Entwicklung der Virendichten verhielt sich dabei hochgradig synchron zur Verteilung der Prochlorococcus-Blaualgen“, sagen die Wissenschaftler. Diese bakteriellen Blaualgen – auch als Cyanobakterien bezeichnet – gelten als wichtige Produzenten von Biomasse in den Ozeanen. Sie finden sich in Mengen von bis zu 200.000 Zellen in einem Tropfen Meerwasser.
Auswirkungen auch auf das Klimasystem
Da bei der Zerstörung der Algenzellen Nährstoffe ins Wasser freigesetzt werden, scheine dies aber einen eher positiven Einfluss auf das Wachstum der umgebenden Algen zu haben, sagen die Forscher Die Virenverteilung beeinflusse damit direkt die Häufigkeit und Dichte dieser wichtigen Produzenten von Biomasse im Meer. Diese neue Erkenntnis habe bedeutende Konsequenzen für den Nährstoffhaushalt der Ozeane, aber auch für das Klimasystem. Da die Algen für ihr Wachstum das Treibhausgas Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen, wirke sich die Aktivität der Viren indirekt auch auf das Klimasystem aus.
„Die Wechselwirkungen zwischen Meeresviren und Bakterien finden im Nanometer-Maßstab statt, aber sie sind extrem wichtig für den Energiefluss und das Recycling von Nährstoffen in den Ozeanen der Welt“, sagt Studienleiter Craig A. Carlson von der University of California in Santa Barbara. Die neuen Daten könnten unter anderem dazu beitragen, Modelle der Stoffkreisläufe im Ozean zu verbessern. (ISME Journal, 2011; DOI: 10.1038/ismej.2011.101)
(University of California in Santa Barbara, 02.09.2011 – NPO)