Wenn Söhne ohne Vater aufwachsen, wirkt sich dies nicht nur in der Kindheit aus. Es beeinflusst offenbar auch ihre spätere Entwicklung, wie britische Forscherinnen jetzt herausgefunden haben. Die Abwesenheit eines Vaters im Kindesalter sei bei Jungen mit einer späteren Pubertät verknüpft, berichten die Wissenschaftlerinnen im Fachmagazin „Biology Letters“. Dafür sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass diese Jungen im Alter von 23 Jahren bereits mindestens ein Kind gezeugt hatten.
Diese Zusammenhänge seien auch dann noch gültig gewesen, wenn man andere Faktoren wie soziale und wirtschaftliche Lage der Familien berücksichtigt habe, sagen Paula Sheppard von der London School of Economics und ihre Kollegin Rebecca Sear von der Durham University.
Werdegang von mehr als 9.500 Jungen untersucht
Für ihre Studie hatten die Forscherinnen in einer Langzeitstudie den Werdegang von mehr 9.500 Jungen von der Geburt bis zum 23. Lebensjahr verfolgt. Bisher sei der väterliche Einfluss vor allem in Bezug auf die Töchter untersucht worden, schreiben sie. In den wenigen vorherigen Studien mit Jungen sei oft nicht getrennt worden zwischen allgemein suboptimalen Kindheitsbedingungen und dem spezifischen Effekt des fehlenden Vaters.
Die Ergebnisse ihrer Langzeiterhebung zeigten jedoch, dass die An- oder Abwesenheit der Väter einen eindeutigen Einfluss auf die Entwicklung von Söhnen ausübe, sagen Sheppard und Sear. „Diese Studie betont, wie wichtig es ist, die Rolle des Vaters sowohl in frühen als auch in späten Kindheitsphasen zu analysieren“, schreiben die Forscherinnen.
Daten aus landesweiter Langzeiterhebung
Die Daten für ihre Untersuchung entnahmen die Forscherinnen der National Child Development Study (NCDS), einer fortlaufenden Studie mit allen britischen Kindern, die seit 1958 geboren worden sind. Erfasst werden im Rahmen dieser Erhebung unter anderem sozio-ökonomische Informationen, Gesundheitszustand und Familienentwicklung von Geburt an.
Für ihre Auswertung nutzten Sheppard und Sear Daten für 9.596 männliche Personen aus fünf Phasen der Entwicklung: Bei Geburt, sowie dem Alter von 7,11,16 und 23 Jahren. Die Forscherinnen verglichen dabei Jungen, deren Vater bis zu ihrem 16. Lebensjahr im Haushalt präsent war, mit Jungen, die von Beginn an ohne Vater aufwuchsen. Gesondert erfasst wurden Kinder, die ihren Vater erst in den Phasen zwischen sieben und elf oder zwischen elf und sechzehn verloren – sei es durch Trennung der Eltern oder Tod. „Das ermöglichte es uns zu testen, wie sich die Abwesenheit des Vaters in verschiedenem Kindheitsphasen auswirkt“, schreiben die Forscherinnen.
Alter bei Vaterlosigkeit spielt eine Rolle
Die Auswertung ergab, dass es für einige Aspekte eine wichtige Rolle spielte, in welchem Alter die Jungen ohne Vater aufwuchsen. „Eine Vaterlosigkeit zwischen elf und sechzehn ist mit einem verzögerten Stimmbruch – einem Anzeiger für Pubertät – verknüpft“, so die Wissenschaftlerinnen. Die Reaktion der Jungen sei damit genau umgekehrt wie die von Mädchen in vergleichbarer Situation. Bei den Mädchen mit abwesenden Vätern setze die Pubertät meist verfrüht ein, wie vorherige Studien zeigten.
Es sei möglich, dass der Stress, einen Vater zu verlieren, einen Effekt auf den Hormonhaushalt der Heranwachsenden ausübe und deshalb die Pubertät verzögere. Dass ein Ereignis noch in der späten Kindheit den Beginn der Pubertät beeinflusse, sei überraschend, sagt Sheppard. „Bisher haben wir angenommen, dass diese Dinge in der frühen Kindheit festgelegt werden.“
Auswirkungen auf die Zeugungsaktivität
Fehlte der Vater dagegen in der Zeit vor dem siebten Lebensjahr, wirkte sich dies offenbar vor allem auf die spätere Zeugungsaktivität der Jungen aus: Im Alter von 23 Jahren hatten 43,9 Prozent von ihnen bereits mindestens ein Kind, bei mit Vätern aufgewachsenen Jungen waren es nur 37,2 Prozent.
Dieser Unterschied sei signifikant, sagen die Forscherinnen. Offenbar neigten Söhne abwesender Väter eher dazu, zwar sexuell aktiv zu sein und Kinder zu zeugen, investierten tendenziell aber weniger in die Verantwortung einer Elternschaft in Form der Ehe, vermuten Sheppard und Sear. (Biology Letters, 2011; DOI:10.1098/rsbl.2011.0747)
(Biology Letters / dapd, 07.09.2011 – NPO)