Medizin

Seidenfasern könnten Sehnerv retten

Biomaterial dient als Gerüst und Leitfaden für nachwachsende Nervenzellen

Nervenzellen der Netzhaut (grün), die an elektrisch gesponnenen Seidenfäden (rot) entlangwachsen. © Universitätsklinikum Leipzig

Ein internationales Forscherteam hat ein Material entwickelt, das verletzten oder durch einen Unfall unterbrochenen Nerven beim Wachsen helfen könnte: elektrisch gesponnene Seidenfäden. Das Gerüst aus feinen Fäden liefert den sich regenerierenden Nervenzellen ein Gerüst, um daran entlang zu wachsen. Auf diese Weise könnte man beispielsweise durch einen Unfall Erblindeten das Augenlicht zurückgeben, meinen die Forscher im Fachmagazin „Advanced Functional Materials“.

Normalerweise ist der Sehnerv, der die Lichtreize der Netzhaut ins Sehzentrum des Gehirns leitet, nicht in der Lage, sich selbst zu reparieren. „Anders als Nerven des peripheren Nervensystems sind Nerven des Zentralen Nervensystems, also Gehirn, Rückenmark und Sehnerv, nicht zur Regeneration fähig“, erklärt Thomas Claudepierre vom Universitätsklinikum Leipzig. „Um einen Nerv des Zentralen Nervensystems zum regenerativen Wachstum zu bewegen, brauchen wir Biomaterialien, die für den verletzten Nerv eine Art Gerüst bilden, an dem er entlang wachsen kann. Gleichzeitig sollten sie sein Wachstum anregen“, so der Experte.

Gerüst aus Seidenfäden als Wachstumshilfe

Elektrisch gesponnene Seidenfasern – nur wenige Millionstel Millimeter dick – eignen sich hierfür gut, fanden Claudepierre und Kollegen heraus. Für ihre Versuche nutzten die Forscher Zellkulturen von Netzhautnervenzellen der Ratte, die sie – um die Zerstörung des Nervs zu simulieren – in ein schädigendes Medium setzten. Wie sich zeigte, konnten die Zellen – trotz der widrigen Bedingungen – an parallel angeordneten Seidenfäden auf einem Deckgläschen entlang wachsen.

Insbesondere wenn diese Fäden zusätzlich mit Wachstumsfaktoren versehen werden, sind sie ideale Richtungsweiser für Nervenzellen. „Wachstumsfaktoren, die in die Fasern eingeschlossen sind, können ihre Funktion über einen langen Zeitraum beibehalten“, erläutert Claudepierre. Die Ausläufer von Nervenzellen, die an diesen speziell funktionalisierten Seidenfäden wuchsen, erzielten im Vergleich zu den Versuchen mit „normalen“ Seidenfäden die zwei- bis dreifache Länge.

Seidenproteine aus der Düse

Zum elektrischen Spinnen von Seidenfäden wird eine Flüssigkeit mit dem Seidenprotein „Fibroin“ in eine Spritze geladen und durch das Anlegen einer starken Spannung elektrostatisch aufgeladen. Anschließend wird die Flüssigkeit als feiner Strahl zu einer negativ geladenen, rotierenden Kollektorspule geleitet. Um den Seidenfaden in paralleler Anordnung „einzufangen“, befestigten die Wissenschaftler auf der Spule kleine Deckgläschen.

„Unser Ziel ist die Entwicklung eines 3-D-Gerüsts, das an der Stelle einer Nervenschädigung implantiert wird und die Zellen dabei unterstützt, ihre Nervenfortsätze zu regenerieren“, erklärt Claudepierre. Als nächsten Schritt wollen die Leipziger Wissenschaftler mit ihren Kollegen untersuchen, inwieweit auch die Gliazellen, die das Stützgewebe der Nervenzellen bilden, mithilfe der Seidenfasern ihre Orientierung wiedererlangen können. Anschließend soll das Modell im Tierversuch getestet werden. Sind die Versuche erfolgreich, könnte die Methode eines Tages dabei helfen, Menschen vor gravierenden Behinderungen, etwa einer Erblindung, zu bewahren.

(Universitätsklinikum Leipzig, 15.12.2011 – NPO)

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