Für die Bewohner des antiken Pompeji waren die Gräber ihrer Vorfahren alles andere als heilig: Sie nutzten die vor den Stadttoren liegenden Totenstädte ganz pragmatisch auch als Mülldeponien und Ablageplatz für Bauschutt. Entgegen bisherigen Annahmen seien die unzähligen Tierknochen, zerbrochenen Krüge und Schutthaufen kein Zeichen für Vernachlässigung oder Aufgabe der Grabstätten. Stattdessen sei dieses Nebeneinander von Abfällen und Gräbern für die Stadtbewohner völlig normal gewesen.
Denn das im Jahr 79 nach Christus durch einen Vulkanausbruch verschüttete Pompeji habe offenbar keinerlei geregeltes Entsorgungssystem für Müll besessen, berichten US-amerikanische Forscher auf der Jahrestagung des Archeological Institute of America. Das habe sich bei jüngsten Ausgrabungen in den Ruinen der Stadt am Golf von Neapel gezeigt.
Keine Aufgabe der Totenstädte nach Erdbeben
Bisher gingen Archäologen davon aus, dass die Grabstätten in Pompeji deshalb so viele Abfälle enthielten, weil sie im Jahr 62 nach Christus durch ein Erdbeben beschädigt wurden. Die Bewohner der Stadt, so mutmaßte man, hätten die Totenstädte anschließend weitgehend aufgegeben und nur noch als Ablageplätze genutzt. Doch die Ergebnisse des Grabungsteams der University of Cininnati, das seit 2009 in Pompeji forscht, widerlegen diese Theorie.
„Die Friedhöfe sind bis zum Jahr 79 nach Christus nicht aufgegeben worden, sagt Grabungs-Teilnehmerin Allison Emmerson, die die Ergebnisse auf der Konferenz vorstellte. Das hätten die Ausgrabungen ergeben. Pompeji sei nach dem Erdbeben wiederaufgebaut und auch die Friedhöfe weiterhin für Begräbnisse genutzt worden – aber eben auch, um dort Abfälle zu deponieren.
Müll gehörte zum Alltag
„Nach modernen Standards erscheint dieser Umgang mit Grabstätten pietätlos“, sagt Emmerson. Doch die Ausgrabungen hätten gezeigt, dass die Bewohner der Stadt auch in ihren Häusern und Straßen zwischen Müll und Abfällen lebten. „Ich habe einen Raum in einem Haus ausgegraben, in dem die Zisterne für Trinkwasser zwischen zwei Abfallgruben lag“, beschreibt die Forscherin.
Das sei aus heutiger Sicht unverständlich, damals aber normal gewesen. Abfälle seien abgelegt worden, wo Platz war – ohne viel Rücksicht auf Hygiene oder Ordnung. „Wir vermuten daher, dass die Bewohner Pompejis auch Abfälle in und zwischen den Gräbern nicht als unnormal oder problematisch ansahen“, meint Emmerson.
Die Funktion der Gräber sei für die Römer der damaligen Zeit zudem eine andere gewesen als für uns heute, meinen die Forscher. „Diese Gräber und Friedhöfe waren nie als Orte der stillen Kontemplation gedacht“, sagt Emmerson. Die Grabstätten dienten eher dem Prestige und der Erinnerung und seien daher oft nahe viel begangener Straßen errichtet worden. „Sie waren Teil des normalen, schmutzigen Alltags“, sagt die Forscherin.
(University of Cininnati, 06.01.2012 – NPO)