Hähnchenfleisch aus deutschen Supermärkten und Discountern ist zu großen Teilen mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Auf zehn von 20 in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und in der Region um Stuttgart gekauften Fleischproben hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ESBL-Keime gefunden, zwei Proben waren mit MRSA-Keimen belastet. Die Keime entstehen, weil in der industriellen Tierhaltung systematisch große Mengen Antibiotika eingesetzt werden.
Bakterien und Enzyme hebeln Antibiotikawirkung aus
MRSA steht für „Methicillin-resistente Staphylococcus aureus“. Das sind Bakterien, die bei Menschen und Tieren Haut und Schleimhäute besiedeln und dort Wundinfektionen verursachen können. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem können diese Bakterien auch Blutvergiftungen und Lungenentzündungen hervorrufen. MRSA-Bakterien sind meist gegen mehrere Antibiotikagruppen resistent. Daher sind bei den durch MRSA verursachten Infektionen die Behandlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Bisher trat der Keim vor allem in Krankenhäusern auf, wo er von Mensch zu Mensch übertragen wird.
ESBL sind Enzyme (Extended Spectrum Beta-Laktamasen), die in der Humanmedizin wichtige Antibiotika außer Kraft setzen können. ESBL- Enzyme können von Darmkeimen produziert werden, die dann vor allem für anfällige Menschen ein Problem darstellen. Da wichtige Antibiotikagruppen nicht mehr wirken, sind Ärzte in ihren Therapiemöglichkeiten stark eingeschränkt. Bei gesunden Menschen kann der Verzehr von ESBL-produzierenden Keimen bedeuten, dass diese Bakterien sich für einen längeren Zeitraum in der Darmflora einnisten. Im Darm kann die Fähigkeit, ESBL zu produzieren, an andere Keime weitergegeben werden – z.B. von relativ unproblematischen Darmkeimen (E.coli) an problematische Krankheitserreger (z.B. Salmonellen, Klebsiellen).
Resistente Erreger bei Proben von drei Herstellern gefunden
ESBL-belastet waren drei Proben des Hähnchenlieferanten „Wiesenhof“, gekauft bei Edeka in Berlin, Netto in Köln und Lidl in der Stuttgarter Region. Drei Proben des Lieferanten „Sprehe“ wiesen ebenfalls ESBL-Keime auf, gekauft wurden sie bei Rewe in Köln bzw. bei Edeka in Nürnberg. Eine weitere Hähnchenfleischprobe von „Sprehe“, gekauft bei Rewe in Hamburg, enthielt MRSA-Keime. Vier Proben von „Stolle“, zwei davon gekauft bei Penny in Berlin und zwei bei Netto in Hamburg wiesen ESBL-Keime auf, eine der bei Netto in Hamburg gekauften Proben enthielt außerdem MRSA-Keime.
Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender: „Jede zweite Hähnchenfleisch-Probe aus deutschen Supermärkten ist mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Das ist die erschreckende Folge des fortgesetzten Antibiotika-Missbrauchs. Dieser ist nicht nur dafür verantwortlich, dass wichtige Medikamente ihre lebensrettende Wirkung verlieren können. Das Ausmaß der Kontamination von Lebensmitteln mit Krankenhauskeimen ist ein deutliches Warnsignal vor den Kollateralschäden der industriellen Tierhaltung.“
Eine immer größere Zahl von Nutztieren auf zu wenig Platz zu halten, sei nur unter Einsatz großer Mengen von Antibiotika möglich. Subventionen für die industrielle Fleischerzeugung müssten abgeschafft und die Haltungsbedingungen für Nutztiere entscheidend verbessert werden. Weiger rief die Handelsketten und Supermärkte auf, mit Keimen belastetes Fleisch aus den Regalen zu verbannen. Von ihren Fleischlieferanten sollten sie verlangen, dass diese umgehend zu Tierhaltungsformen ohne Antibiotika-Missbrauch wechseln. Als Beispiele für umwelt- und tiergerechte Haltungsformen nannte Weiger die Fleischerzeugung in Betrieben der ökologischen Landwirtschaft und in Neulandbetrieben.
(BUND, 10.01.2012 – NPO)