Geistig überanstrengte Hunde reagieren ähnlich wie Kinder: Müssen sie zu lange stillsitzen und sich beherrschen, werden sie unvorsichtig und verlieren leichter die Selbstkontrolle. Durch impulsive Handlungen bringen sie sich dann eher in Gefahr. Das hat ein internationales Forscherteam in einem Experiment herausgefunden. Das Ergebnis zeige, dass bei Hunden ähnlich wie beim Menschen, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle nur eine gewisse Zeit reiche. Sei die Selbstkontrolle ermüdet, führe dies zu riskanterem Verhalten. Das berichten die Forscher im Fachmagazin „Psychonomic Bulletin & Review“.
„Bisher ging man davon aus, dass die Ermüdung der Selbstkontrolle einzigartig für menschliches Verhalten ist“, schreiben Holly Miller von der Université de Lille und ihre Kollegen. Aus Experimenten und Beobachtungen wisse man, dass Menschen nur einen gewissen Vorrat an Selbstbeherrschung auf einmal abrufen können. Widerstehen sie für eine längere Zeit dem Drang, etwas Süßes zu essen, fehlt ihnen beispielsweise hinterher die Geduld und Selbstkontrolle, um ein kniffeliges Puzzle geduldig zu Ende zu führen.
Ermüdbarkeit der Selbstkontrolle kein rein menschliches Phänomen
„Ist diese Ressource einmal erschöpft, fällt es hinterher schwerer, impulsives Verhalten zu kontrollieren“, sagen die Forscher. Fußgänger laufen dann eher ohne zu gucken auf die Straße und Kinder fangen schneller Streit an.
Die Studie belege nun erstmals, dass diese Ermüdbarkeit der Selbstkontrolle doch kein rein menschliches Phänomen sei. Auch mental ermüdete Hunde neigten eher dazu, sich unüberlegt Risiken auszusetzen. „Die Forschung mit diesen Tieren könnte daher weitere Erkenntnisse über die physiologischen und neurobiologischen Prozesse liefern, die die Selbstkontrolle – auch beim Menschen – beeinflussen“, schreiben Miller und ihre Kollegen.
Still sitzen als Übung zur Selbstkontrolle
Für ihre Studie arbeiteten die Wissenschaftler mit zehn Hunden. Diese trainierten sie entweder darauf, zehn Minuten still zu sitzen und somit Selbstkontrolle auszuüben oder sie ließen sie in größeren Käfigen frei umherlaufen. Anschließend wurden die Hunde in einen Raum gebracht, in dem ein zweiter aggressiv knurrender Hund in einem Käfig eingesperrt war. Die Hunde verbrachten insgesamt vier Minuten in dem Raum und konnten sich dabei frei entscheiden, wie nahe sie dem aggressiven Artgenossen kamen.
Das Ergebnis: 59 Prozent der Hunde, die vorher in sitzender Haltung Selbstkontrolle ausüben mussten, verbrachten mehr Zeit in nächster Nähe zum aggressiven Hund. Von den zuvor frei umherlaufenden Hunden näherten sich nur 42 Prozent der potenziellen Bedrohung.
Selbstbeherrschung geht verloren
„Die Hunde mit ermüdeter Selbstkontrolle konnten ihrem natürlichen Impuls schlechter widerstehen, sich einem Artgenossen zu nähern und brachte sich so in Gefahr“, schreiben Miller und ihre Kollegen. Das belege, dass auch Hunden über keinen unendlichen Vorrat an Selbstbeherrschung verfügten. (Psychonomic Bulletin & Review, 2012; doi:10.3758/s13423-012-0231-0)
(Psychonomic Bulletin & Review / dapd, 04.04.2012 – NPO)