Gewitter tragen fünf Mal mehr zum Ozonsmog bei als der Flugverkehr. Denn die starken Aufwinde in den Gewitterwolken wirken wie Staubsauger: Sie transportieren große Mengen Luftschadstoffe in die obere Atmosphäre, wo sie dann in Ozon umgewandelt werden. Wie groß der EINfluss der Gewitter tatsächlich ist, wollen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit Kollegen aus den USA genauer herausfinden. dAFür führen sie noch bis Mitte Juni Messflüge durch.
„Gewitter sind wie Staubsauger“, erklärt Heidi Huntrieser vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre. „Gewitter saugen mit teilweise über 100 Stundenkilometern die Luft vom Boden in rund zehn Kilometer Höhe in den so genannten Ambossbereich. Dies ist die pilzförmige Schicht ganz oben ‚auf‘ dem Gewitter.“ Werden beispielsweise Stickoxide aus Autoabgasen in diese Region transportiert, ändert sich aufgrund der dort herrschenden Bedingungen deren Chemie: Sie werden langsamer abgebaut und es entsteht mehr Ozon. Stickoxide können in diesen Höhen bis zu zehn Mal so viel Ozon produzieren wie am Boden, wie die Forscher erklären.
Zehn Prozent der Stickoxide stammen aus Gewitterwolken
„Vorherige Messungen lassen den Schluss zu, dass der globale Luftverkehr etwa ein Teragramm Stickoxide pro Jahr produziert – Gewitter aber für etwa fünf Mal so viel verantwortlich sind“, sagt Huntrieser. Teragramm bedeutet 10 hoch 12, also eine Zahl mit 12 Nullen. Alle Stickoxid-Quellen zusammen verursachen in der Atmosphäre etwa 50 Teragramm Stickoxide pro Jahr. „Die Gewitter sind für rund zehn Prozent davon verantwortlich“, so die Forscherin. Diese Ergebnisse von Modellsimulationen seien zum Teil sehr überraschend. Jetzt benötige man mehr Messdaten, um das zu bestätigen.
Messungen mit drei Forschungsflugzeugen sollen die bestehenden Datensammlungen nun erweitern:
Das DLR-Forschungsflugzeug Falcon wird in zehn Kilometern Höhe messen, das amerikanische Forschungsflugzeug Hiaper in bis zu 15 Kilometern Höhe und eine DC-8, ein wesentlich größeres Flugzeug, misst hauptsächlich in den niedrigeren Höhen. „Unser ehrgeiziges Ziel ist es, dass alle Flugzeuge gleichzeitig in Gewitternähe in unterschiedlichen Höhen arbeiten – das wäre weltweit einzigartig“, sagt Huntrieser.
Die Blitzlänge ist entscheidend
Neben den Transportprozessen in die obere Atmosphäre untersuchen die Forscher auch den Einfluss verschiedener Blitz-Typen, denn auch diese Entladungen lassen Stickoxide entstehen. Über Europa entstehen in Gewittern mit viel Hagel und Graupel viele und auch zum Teil längere Blitze. Sie können über 100 Kilometer lang sein. In tropischen, eisarmen Gewittern in Brasilien sind die Blitze dagegen deutlich kürzer, meist nur wenige Kilometer lang. Bisherige Messungen zeigen, dass Gewitter mit kürzeren Blitzen auch weniger Stickoxide pro Blitz produzieren als die mit längeren. Dank der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen in den USA können die Wissenschaftler nun beide Arten untersuchen: Über Alabama existieren Gewitter mit weniger Eis, über Colorado mit mehr Graupel und Hagel. Oklahoma ist für seine heftigen Gewitter, so genannten Superzellen, die auch Tornados auslösen können, bekannt.
Die Forschungsflüge sind hochanspruchsvoll, aber kaum gefährlich für die Insassen: „Wir fliegen nicht direkt in die Gewitter hinein, das wäre aufgrund der starken Turbulenzen, Vereisungsgefahr, Blitzeinschlag und den hohen Windgeschwindigkeiten viel zu gefährlich. Unsere Messungen finden im ruhigeren Amboss-Bereich statt“, erklärt Huntrieser. Die robuste Falcon ist für diese Einsätze ideal geeignet, die DLR-Piloten haben schon viele ähnliche Messungen mit dem Forschungsflugzeug über Europa, Brasilien, Australien und Afrika durchgeführt.
Ein Stück Neuland betreten die Forscher bei ihren Messflügen ebenfalls: Rund zwölf bis 48 Stunden, nachdem sich das Gewitter aufgelöst hat, wollen die Wissenschaftler Messflüge in den übrig gebliebenen Gewitterluftmassen durchführen und beispielsweise erfassen, wie viel Ozon produziert wurde und wie sich die chemische Zusammensetzung durch das Gewitter verändert haben.
(Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), 01.06.2012 – NPO)