Der Urzeit-Plattfisch Heteronectes ist eine biologische Rarität. Denn der Kopf des 50 Millionen Jahre alten Fischfossils gibt einen seltenen Einblick darin, wie die Evolution neue Baupläne formt – in diesem Fall den platten Körperbau von Schollen, Seezungen und anderen Plattfischen. Im Gegensatz zu allen anderen Wirbeltieren tragen diese Fische beide Augen auf der gleichen Kopfseite. Heteronectes aber ist eine Zwischenform, wie die erste Untersuchung dieses Fossils jetzt ergeben hat: Sein zweites Auge ist bereits an den Kopfrand gewandert, liegt aber noch an der Kopfunterseite. Damit sei Heteronectes eindeutig ein Bindeglied zwischen der normalen und der Plattfisch-Kopfform. An ihm könne man nun erstmals ablesen, auf welchem Wege sich das zweite Auge auf die Oberseite bewegt habe, berichtet Matt Friedman von der University of Oxford im Fachmagazin „Journal of Vertebrate Paleontology“.
„Heteronectes hilft uns zu verstehen, wie die Evolution eine der seltsamsten Baupläne unter den Wirbeltieren entstehen ließ: den extrem asymmetrischen Plattfisch-Kopf“, schreibt Friedman. Das platte, verschobene Gesicht dieser Fische galt schon zu Darwins Zeiten als so einzigartig, dass Gegner seiner Evolutionstheorie es gerne als Negativbeweis zitierten: Diese ungewöhnlichen Köpfe, so argumentierten sie, könnten niemals langsam, schrittweise entstanden sein. Denn alle Zwischenformen müssten so deformiert gewesen sein, dass diese Fische automatisch ausgestorben wären. Der Fund von Heteronectes widerlege dieses Argument nun endgültig, sagt Friedman.
Das Heteronectes-Fossil wurde schon in den 1950er Jahren in urzeitlichen Meeressedimenten in Norditalien entdeckt. Lange Jahre aber lagerte das nicht näher bestimmte Fischskelett vergessen in einem Wiener Museum. Der britische Paläontologe hat das Fossil nun erstmals genauer analysiert und es dabei eindeutig als einen der urtümlichsten Vertreter der Plattfische identifiziert.
Linkes Auge wanderte zum Scheitel
Flossen und sonstiger Knochenbau von Heteronectes seien noch relativ normal, berichtet Friedman. Der Schädel des Fisches aber sei bereits extrem asymmetrisch. Die Untersuchung ergab, dass seine rechte Stirnseite breit und flach war, von der linken aber nur ein schmaler, gebogener Steg erhalten blieb. Während das rechte Auge des Fischs seine normale Position behalten hat, ist die linke Augenhöhle zudem bis knapp unter den Scheitel verschoben. „Diese unvollständige Wanderung belegt, dass die Schädel-Asymmetrie sich schrittweise entwickelte“, sagt der Forscher.
Nach Ansicht des Paläontologen deutet der Bauplan von Heteronectes auch darauf hin, dass der asymmetrische Kopf unter den ersten Merkmalen war, die die urzeitlichen Plattfische entwickelten. Erst später seien die zahlreichen anderen Eigenheiten hinzugekommen, die heute die Plattfische auszeichnen. Dazu gehören die seitlichen Flossensäume, der extrem flache Körper und der reduzierte Beckengürtel.
(Journal of Vertebrate Paleontology, 26.06.2012 – NPO)