Tropisches Plankton überlebt auch in eiskalten Gewässern. Im arktischen Ozean nordwestlich von Norwegen entdeckte ein internationales Forscherteam erstmals Einzeller aus den Subtropen und den Tropen. 89 der rund 145 gesichteten Arten stammten aus südlichen Gefilden. Die Organismen seien mithilfe von warmen atlantischen Meeresströmungen über mehrere Tausend Kilometer gereist, berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Journal of Micropalaeontology“. Ob die Ansiedlung der tropischen Einzeller im hohen Norden auch eine Folge des Klimawandels ist, sei noch nicht klar.
„Wenn wir plötzlich tropisches Plankton in der Arktis finden, fällt einem natürlich sofort der Klimawandel ein“, erklärt Co-Autor Roger Anderson von der Columbia University. Es sei daher besonders wichtig, kritisch zu prüfen, ob es dafür Belege gebe. Relikte auf dem Meeresboden zeigten aber, dass sich Plankton aus wärmeren Gefilden bereits vor mehreren Tausend Jahren in den arktischen Ozean verirrt hatte. Ob dies heute möglicherweise häufiger der Fall sei, müsse man nun prüfen.
Die untersuchten Planktonarten gehören zu den sogenannte Radiolarien oder Strahlentierchen. Weil die verschiedenen Arten dieser winzigen Einzeller jeweils an bestimmte Temperaturbereiche angepasst sind, stellen sie ein beliebtes Untersuchungsobjekt für Klimawissenschaftler dar. Die algenfressenden Tierchen verarbeiten Material des Meeresbodens in ihrer sie umgebenden glasigen Schutzhülle, erklären die Forscher. Anhand der Schichten dieser Schale sei daher nachvollziehbar, wo sich die Einzeller aufgehalten haben. Daraus wiederum ließe sich die Ozeantemperatur in dem betreffenden Gebiet rekonstruieren.
Angesichts der klaren Temperaturvorlieben der Radiolarien waren Kjell Bjørklund von der University of Oslo und seine Kollegen umso überraschter, als sie gleich eine Fülle von tropischen und subtropischen Planktonarten im arktischen Ozean vorfanden. Für ihre Studie waren sie im August 2010 mit einem Forschungsschiff des Norwegischen Polar Institutes in See gestochen. Nördlich der Inselgruppe Svalbard, auf halben Wege von Norwegen zum Nordpol, analysierten sie die Zusammensetzung des Planktons im arktischen Meer. Insgesamt fanden sie 145 Radiolarien-Arten. 89 Spezies davon, und damit mehr als die Hälfte, stammten ursprünglich aus südlichen Gefilden bis hinunter zu den Tropen, berichten die Wissenschaftler.
Verirrt im warmen Atlantikstrom
Der Name Plankton ist altgriechisch und steht für „das Umherirrende“. Denn die marinen Organismen lassen sich ihre Schwimmrichtung einzig von den Meeresströmungen vorgeben. „Die tropischen Spezies müssen mit dem warmen Golfstrom, der von der Karibik bis in den Nordatlantik reicht, mitgeschwemmt worden sein“, sagt Co-Autor Roger Anderson von der Columbia University. Normalerweise verlaufe dieser aber irgendwo zwischen Grönland und Europa. Da Ozeanographen bereits beobachtet haben, dass von Zeit zu Zeit warme Meeresströme auch die Norwegische Küste entlang bis ins arktische Becken vordringen, vermuten die Wissenschaftler, dass die Einzeller mit diesen Warmwasserpulsen in den Norden gelangten.
„Da Radiolaria nur etwa einen Monat lang leben, müssen sie bei ihrer fünf bis sieben Jahre langen Reise bis zu 80 Generationen überlebt haben“, erklären die Forscher. Sie vermuten, dass die Einzeller sich durch die vielen Generationswechsel auf ihrem Weg an die kälteren Bedingungen anpassen konnten. Dabei zeigen Überbleibsel auf dem arktischen Meeresboden, dass die Tiere solche Abstecher schon mehrmals in der Vergangenheit geschafft hatten; rund 4.000 Jahre vor Christus und dann wieder 200, 400 und 1.100 Jahre n.Chr.
„Die Planktonansiedlungen müssen also nicht zwingend eine Folge des Klimawandels sein“, folgert der Biologe Anderson. Allerdings würde vieles darauf hindeuten, dass die Erwärmung der Meere eine Rolle spiele. Denn gerade der arktische Ozean habe sich in den letzten Jahren rasant erwärmt. In einigen Gebieten seien die Wassertemperaturen dort sogar um fünf Grad Celsius seit 1950 gestiegen. Es deute zudem einiges darauf hin, dass die Warmwasserpulse heute häufiger und stärker aufträten als in der Vergangenheit. Noch ist nicht klar, ob sich die Eindringlinge in ihrer neuen Umgebung lange halten werden. Weitere Forschungen müssten klären, ob sie wieder verschwinden oder sich weiter anpassen und überleben. (doi:10.1144/0262-821X11-030)
(Journal of Micropalaeontology, 26.07.2012 – ILB)