Eine neue Technik eröffnet völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten für am ganzen Körper Gelähmte: Sie können zukünftig allein durch ihre Augenbewegungen Buchstaben, Wörter und Zahlen auf ein Display malen. Die Technologie dafür hat jetzt ein französischer Hirnforscher im Fachmagazin „Current Biology“ vorgestellt. Bisher war diese Art des Augenschreibens unmöglich, da die Pupillen normalerweise ständig zuckende, unwillkürliche Bewegungen durchführen. Diese sogenannten Sakkaden hindern Kameraprogramme daran, feine gezielte Bewegungen der Augen zu verfolgen und zu erkennen. Bei der neuen Methode unterbindet ein blinkender Bildschirmhintergrund die Sakkaden.
Bereits nach kurzem Training hätten Probanden gelernt, ihre Augenbewegungen zu kontrollieren und lesbare Formen zu erzeugen, berichtet der Forscher. Für Menschen, die ihre Gliedmaßen nicht mehr bewegen können, sei dies daher eine schnelle und einfache Möglichkeit, sich sprachlich und kreativ auszudrücken.
Bisher können am ganzen Körper gelähmte Menschen, die nicht mehr sprechen können, nur sehr langsam und umständlich mit ihrer Umwelt kommunizieren: Sie blicken dafür auf ein Computerdisplay mit allen Buchstaben des Alphabets und müssen dann nacheinander jeden gewünschten Buchstaben einen Moment fixieren und durch Blinken bestätigen. „Die neue Technologie bietet diesen Menschen nun eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten, die sie bisher nicht hatten“, schreibt Jean Lorenceau von der Université Pierre et Marie Curie in Paris. So könnten sie wie mit einem Bleistift beliebige Formen zeichnen oder etwas unterschreiben. Mit ein wenig Übung könne man zudem mit den Augen 20 bis 30 Buchstaben in der Minute schreiben, das sei genau so schnell wie mit der Hand.
Der Forscher arbeitet zurzeit daran, sein System weiter zu verbessern. Aber schon im nächsten Jahr, so kündigt er an, sollen erste Tests mit Patienten erfolgen, die an der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) erkrankt sind. Bei dieser nicht heilbaren Erkrankung werden die Nerven, die die Muskeln steuern, fortschreitend zerstört. Als Folge leiden die Patienten unter immer stärker werdenden Lähmungen und können nach einiger Zeit nicht mehr sprechen. Das Augenschreiben könnte ihnen helfen, besser als bisher mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, sagt Lorenceau.
Flackernde Kreise täuschen das Sehsystem
Kernstück des neuen Systems ist ein Bildschirmhintergrund mit zahlreichen zufällig verteilten Kreisen. Sie verändern 720 mal pro Minute ihren Kontrast und erzeugen so ein schnelles Flackern. „Wenn die Augen ruhig stehen, erscheint dieser Hintergrund nur als Feld von statischen Scheiben“, erklärt Lorenceau. Wenn man aber seine Augen bewege, erzeuge dieses Flackern eine Scheinbewegung: Die Kreise scheinen in Richtung der Augenbewegung zu wandern. Dieser Effekt täuscht das Sehsystem und sorgt dafür, dass die Sakkaden unterbleiben, wie die Forscher berichtet.
Eine spezielle Kamera und ein Computerprogramm werten die Augenbewegungen der „schreibenden“ Person aus und ermitteln daraus die gemalte Form. Um das Training zu erleichtern, markiert anfangs ein Ring aus farbigen Punkten, wohin der Blick des Probanden gerade geht. „Man sollte dazu sagen, dass die Nutzer die durch ihre Augenbewegungen erzeugten Linien nicht sofort sehen“, erklärt Lorenceau. Sie müssten daher lernen, quasi blind zu schreiben. Das aber geht erstaunlich schnell: Nach nur drei jeweils halbstündigen Trainingssitzungen vor einem solchen Display lernten sechs Probanden, Zahlen, Buchstaben und ganze Wörter leserlich zu schreiben. (doi:10.1016/j.cub.2012.06.026)
(Current Biology, 27.07.2012 – NPO)