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Geowissen

Historischer Tsunami verwüstete Ufer des Genfer Sees

Heute noch gibt es Ablagerungen der Riesenwelle aus dem 6. Jahrhundert

Blick von Genf aus auf den Genfer See © Anton Sorokoletov / Gemeinfrei

Historischen Berichten zufolge fegte im sechsten Jahrhundert ein Tsunami durch den Genfer See, der an dessen Ufern schwere Zerstörung anrichtete. Schweizer Wissenschaftler haben nun auf dem Grund des Sees Spuren dieses Ereignisses entdeckt, die helfen, seinen Ablauf zu rekonstruieren. Verantwortlich für die verheerende Monsterwelle war demnach ein Steinschlag am Rhone-Ufer vor dem Ostende des Sees, der zum Kollaps des Fluss-Deltas führte. Das wiederum brachte die Wassermassen im See derart in Bewegung, dass knapp 70 Minuten später in Genf, am anderen Ende des Sees, eine acht Meter hohe Welle über die Stadtmauern schwappte. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass derartige Ereignisse auch in Zukunft auftreten, mahnen Katrina Kremer von der Universität Genf und ihre Kollegen im Fachblatt „Nature Geoscience“.

Steinschlag mit anschließender Riesenwelle

Im Jahr 563 kam es laut den beiden historischen Quellen, die die Forscher zitieren, etwa an der Stelle, an der die Rhone in den Genfer See fließt, zu einem verheerenden Bergsturz, auch bekannt als Taurendunum-Ereignis. Der Steinschlag allein reichte den Berichten zufolge bereits aus, um mehrere Dörfer komplett zu zerstören, wobei viele Menschen ihr Leben verloren. Noch mehr Zerstörung richtete allerdings der nachfolgende Tsunami an: Er überschwemmte die bereits damals dicht bevölkerten Ufer des Genfer Sees und arbeitete sich in kurzer Zeit bis in die Stadt selbst vor. Dort zerstörte er eine Brücke sowie einige Mühlen und tötete in der Innenstadt mehrere Menschen.

Auf der Suche nach Spuren, die dieses verheerende Ereignis hinterlassen haben könnte, untersuchten Kremer und ihre Kollegen nun den Seeboden an seiner tiefsten Stelle mit künstlich erzeugten seismischen Wellen. Dabei fanden sie eine ausgedehnte, linsenförmige Ablagerung mit einer Länge von etwa zehn und einer Breite von fünf Kilometern. Im Durchschnitt hat sie eine Stärke von fünf Metern, wobei die dickste Stelle im Südosten, in Richtung des Rhone-Deltas, liegt. Die Untersuchung von Bohrkernen aus dem betreffenden Gebiet zeigte dann: Der Aufbau der Ablagerung ist typisch für sogenannte Turbidite, Gesteinsformen, die durch die plötzliche Bewegung großer Schlammströme entstehen. Mit der Radiokarbonmethode, mit der das Alter organischer Bestandteile solcher Sedimente bestimmt werden kann, gelang es den die Forschern auch, den Zeitpunkt der Ablagerung einzugrenzen: Sie muss sich zwischen 381 und 612 nach Christus gebildet haben.

Zufluss der Rhône in den Genfer See © Sandstein / CC BY 3.0

Datierung passt zu historischen Berichten

Da es aus diesem Zeitraum keine anderen Berichte über Bergrutsche oder Tsunamis gebe, sei es wahrscheinlich, dass die Ablagerungen wirklich dem Taurendunum-Event zuzuordnen sind, schlussfolgert das Team. Mit Hilfe einer Computersimulation rekonstruierte es die wahrscheinliche Abfolge der Ereignisse. Demnach stürzte das Gestein am Rhone-Ufer auf ein Gebiet mit sehr weichem Erdreich, das sofort nachgab und in den Fluss rutschte. Dabei entstand ein Schlammstrom, der sich auf den See zubewegte und dabei dessen Wassermassen verschob. Nur 15 Minuten später erreichte dann eine Welle von 13 Metern Höhe die Stadt Lausanne, nach 70 Minuten war Genf erreicht.

Die Ergebnisse zeigten, dass nicht nur Städte an Meeresküsten, sondern auch dichtbesiedelte Seeufer durch Tsunamis gefährdet seien, betont das Team – ein Risiko, das chronisch unterschätzt werde. Da der Auslöser des damaligen Steinschlags ebenso gut ein leichtes Erdbeben wie ein starker Platzregen gewesen sein könnte, sei es nicht unwahrscheinlich, dass er sich wiederhole. Die Folgen wären heute allerdings ungleich schwerwiegender als im 6. Jahrhundert: Insgesamt leben an den Ufern des Sees mehr als eine Million Menschen. In Genf selbst würde durch eine Acht-Meter-Welle die komplette Innenstadt überschwemmt. (doi: 10.1038/ngeo1618)

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(Nature Geoscience, 29.10.2012 – ILB)

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