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Neurobiologie

Falsche Schwingungen machen dissonante Töne unangenehm

Experiment mit tontauben Menschen widerlegt gängige Theorie zur Musikwahrnehmung

Menschliches Ohr © IMSI MAsterClips

Forscher haben aufgeklärt, warum wir manche Akkorde in der Musik instinktiv als unangenehm empfinden: Schuld daran ist nicht die störende Überlagerung eng beieinander liegender Töne, wie bisher angenommen. Stattdessen ist das Schwingungsmuster des Akkords entscheidend: Weichen die Schwingungen von dem harmonischen Muster ab, das auch bei einem reinen Ton entsteht, empfinden wir dies als unangenehm, wie die kanadischen und US-amerikanischen Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten. Herausgefunden hatten sie dies durch Tests mit tontauben Probanden – Menschen, die geringe Unterschiede in der Tonhöhe nicht unterscheiden können, wohl aber auf die typische Reibung und Überlagerung von benachbarten Tönen im Innenohr reagieren.

„Der Kontrast zwischen harmonischen und dissonant klingenden Tonkombinationen spielt für die Musik eine Schlüsselrolle“, schreiben Marion Cousineau von der University of Montreal und ihre Kollegen. So verwende man beispielsweise in der Filmmusik oft dissonante Akkorde und Tonfolgen, um Spannung oder Angst zu erzeugen. Schon kleine Kinder hätten eine instinktive Abneigung gegen Dissonanzen und bevorzugten harmonische Klänge. Woran unser Ohr und Gehirn aber diesen Unterschied festmachen, war bisher nicht eindeutig geklärt.

Störeffekt durch sich überlagernde Schwingungen

„Nach gängigen Theorien enthalten dissonante Akkorde Schwingungen, die zu nah beieinander liegen, um vom Innenohr getrennt verarbeitet zu werden“, erklären die Forscher. Die Schwingungen, beispielsweise von zwei nur durch einen Halbtonschritt getrennten Noten, überlagern sich und erzeugen dabei einen Störeffekt: Die aus beiden kombinierte Welle wird abwechselnd lauter und leiser. „Diese sogenannten Schläge werden an den Hörnerv weitergegeben und erzeugen dabei ein unangenehmes Gefühl der Reibung“, sagen die Wissenschaftler. Diese Reibung sei gängiger Theorie nach der Grund, warum Menschen dissonante Töne instinktiv meiden.

Um zu testen, ob das tatsächlich stimmt, führten Cousineau und ihre Kollegen mehrere Tests mit Kontrollpersonen und mit zehn Menschen durch, die an der sogenannten Dysmusia litten, also tontaub waren. Im ersten Test sollten alle Probanden verschiedene harmonische oder dissonante Akkorde und Tonfolgen bewerten. Wie erwartet, lehnten die Kontrollpersonen die dissonanten Töne ab – auch dann, wenn in den Akkorden keine eng benachbarten, sich reibenden Töne enthalten waren. Die tontauben Teilnehmer hätten dagegen keine klaren Präferenzen gezeigt, berichten die Forscher. Der Test ergab zudem, dass die Kontrollpersonen die Akkorde am angenehmsten fanden, deren Schwingungen denen der Obertöne von Einzeltönen besonders ähnlich waren.

Auch tontaube Menschen erkennen sich reibende Töne

In einem zweiten Test prüften die Wissenschaftler die Reaktion der Probanden auf die Reibung benachbarter Töne. Diese entsteht nur dann, wenn beide Töne im gleichen Ohr gehört werden. Über Kopfhörer spielten die Forscher daher den Teilnehmern entweder beide Töne auf ein Ohr oder aber jeweils einen Ton auf jedes Ohr. „Im Gegensatz zum vorherigen Test konnten wir hier keinen Unterschied zwischen normalen und tontauben Probanden feststellten“, berichten die Forscher. Beide Gruppen reagierten jedes Mal ablehnend, wenn beide Töne in einem Ohr erklangen und die Reibung entstand.

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Das Ergebnis belege, dass auch Menschen mit Dysmusia die Reibung im Innenohr wahrnehmen können, sagen die Forscher. Wäre sie der Grund für die Ablehnung dissonanter Akkorde, müssten auch Tontaube zwischen diesen und harmonischen Akkorden unterscheiden können und letztere bevorzugen. Aber das sei eindeutig nicht der Fall. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass das jeweilige Schwingungsmuster der kombinierten Töne unsere instinktive Reaktion hervorruft. Dieses Muster können tontaube Menschen nur unvollständig wahrnehmen. (doi:10.1073/pnas.1207989109)

(Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 13.11.2012 – NPO)

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