Medizin

Forscher entschlüsseln Vermehrungs-Komplex des Grippe-Virus

Aufnahmen zeigen erstmals Erbgut-Komplexe während der Vervielfältigung

Modell eines Ribonucleoproteins des Grippe-Virus: Das Erbgut (grün) ist von Eiweißen (blau) umgeben und bildet mit ihnen zusammen eine spiralig gewundene Struktur, das für die Vervielfältigung wichtige Enzym (orange) sitzt seitlich an dieser Helix und kopiert gerade einen Erbgutstrang. © Arne Moeller, The Scripps Research Institute

Forscher haben erste Einblicke in die Vermehrungs-Maschinerie des Grippe-Virus erhalten. Mit modernsten Elektronenmikroskop-Techniken beobachteten sie, wie das zu mehreren Komplexen zusammengefasste Erbgut des Virus sich in einer Zelle vervielfältigt und welche Moleküle daran beteiligt sind. Jetzt könne man vieles von dem, was man über das Influenza-Virus wisse, konkreten Teilen seiner Struktur zuordnen, kommentieren die Forscher. Die Aufklärung dieser Prozesse und Strukturen liefere unter anderem wichtige Informationen darüber, wie sich das Virus an neue Wirte anpasse. Es helfe außerdem dabei, neue Ansatzstellen für die Bekämpfung der Grippe zu finden, berichten die spanischen und US-amerikanischen Wissenschaftler in zwei Artikeln im Fachmagazin „Science“.

Acht spiralig verdrehte Pakete

Das Erbgut des Influenza-Virus ist zu acht winzigen, molekularen Maschinen zusammengefasst, den sogenannten Ribonucleoproteinen (RNP). Wie die Untersuchungen nun zeigten, liegt in jedem dieser zu einer Doppelspirale verdrehten Komplexe ein Erbgutstrang aus Ribonukleinsäure (RNA), der von schützenden Eiweißen umgeben ist. An den freien Enden dieses Komplexes sind die entscheidenden Helfer für das Vervielfältigen der genetischen Information angedockt: Enzyme, die die virale RNA kopieren und die Bauanleitungen für neue Virenproteine an die Proteinfabriken der Wirtszelle übergeben.

Weil diese Enzyme eng mit der Wirtszelle zusammenarbeiten müssen, sind sie auch mitverantwortlich dafür, welche Tierarten ein Grippevirus befallen kann, wie die Forscher erklären. Mutieren die Enzyme, kann dies dazu führen, dass sich beispielsweise ein Schweine- oder Vogelgrippe-Virus nun auch in menschlichen Zellen vermehren kann. Genau zu wissen, wo diese Enzyme in den Ribonucleoproteinen des Virus sitzen und wie sie aufgebaut sind, sei daher wichtig.

Vermehrung eines Grippe-Virus in der Zelle: Das Virus dringt in ein Membranbläschen gehüllt ins Zellinnere ein, die Erbgutpakete des Virus (Ribonucleoproteine, grün) werden freigesetzt und wandern in den Zellkern; dort werden die Virengene abgelesen und die gekaperte Zellmaschinerie baut neue Virenproteine (türkis) auf, mit deren Hilfe dann neue Viren entstehen. © Arne Moeller, The Scripps Research Institute

Schnappschuss zeigt Viren-Erbgut beim Kopiervorgang

„Bisher konnten wir diese Virus-Strukturen wegen fehlender technischer Möglichkeiten nicht aufklären, die neuen Beobachtungen sind daher ein wichtiger Fortschritt“, sagt Ian A. Wilson vom Scripps Research Institute in La Jolla, Leiter einer der beiden jetzt veröffentlichten Studien. Ihm und seinem Team gelang es erstmals, die Erbgut-Komplexe des Virus direkt beim Kopiervorgang abzubilden. In diesem elektronenmikroskopischen Schnappschuss sei deutlich zu sehen, wie mehrere neue Teilketten aus den Komplexen herauswuchsen. „Sie verzweigten sich – das war aufregend mitanzuschauen“, berichtet Erstautor Arne Moeller, ebenfalls vom Scripps Research Institute.

Um die Ribonucleoproteine mittels Elektronenmikroskop abbilden zu können, mussten die Wissenschaftler zunächst in Kultur gehaltene Wirtszellen mit dem Influenza-A-Virus infizieren – und darauf hoffen, dass ausreichend RNPs mitsamt der anhängenden Enzyme unter diesen künstlichen Bedingungen entstehen. Nach verschiedenen Versuchen gelang es den Forschern, ein geeignetes Zellsystem zu entwickeln. Aus diesem isolierten sie die RNP-Komplexe und bereiteten diese für die Elektronenmikroskopie auf. Aus Zehntausenden solcher Aufnahmen rekonstruierten die Wissenschaftler anschließend ein hochauflösendes dreidimensionales Modell der Ribonucleoproteine.

(Science, 23.11.2012 – NPO)

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